La Ferme des animaux en allemand (Farm der Tiere) - roman complet

Voici le texte intégral de La Ferme des animaux en allemand (Farm der Tiere).
 
Présentation :
La révolte gronde à la ferme. Les cochons chassent le fermier et affichent le nouveau règlement : « Tout ce qui est sur deux jambes est un ennemi. Tout ce qui est sur quatre jambes ou possède des ailes est un ami. Aucun animal ne tuera un autre animal. Tous les animaux sont égaux. » Le temps passe. La jeune révolution se détourne de ses principes. La pluie efface les commandements. L'âne arrive encore à déchiffrer: « Tous les animaux sont égaux, mais (il semble que cela ait été rajouté) il y en a qui le sont plus que d'autres. »
 
La Ferme des animaux est un roman de George Orwell. Il décrit une ferme dans laquelle les animaux se révoltent, prennent le pouvoir et chassent les hommes.
 
Lien vers la version en français :
 
Texte complet (version en allemand):

Mister Jones von der Herren-Farm hatte die Hühnerställe zur
Nacht zugesperrt, war aber zu betrunken, um auch noch daran
zu denken, die Schlupflöcher dichtzumachen. Im hin- und
hertanzenden Lichtkreis seiner Laterne schlingerte er quer über
den Hof, schleuderte sich an der Hintertür die Stiefel von den
Füßen, zapfte sich aus dem Fäßchen in der Spülküche ein letztes
Glas Bier und schaffte sich hoch ins Bett, wo Missus Jones bereits
schnarchte.
Gleich als das Licht im Schlafzimmer erlosch, begann es in
allen Farmgebäuden zu kreuchen und fleuchen. Tagsüber hatte
sich die Kunde verbreitet, daß Old Major, der preisgekrönte,
mittelgroße, weiße Keiler, vergangene Nacht einen sonderbaren
Traum gehabt hätte, den er den übrigen Tieren mitteilen wolle.
Man war übereingekommen, sich vollzählig in der großen
Scheune einzufinden, sobald Mister Jones nicht mehr im Wege
stand. Old Major (wie er stets genannt wurde, obwohl der Name,
unter dem er ausgestellt worden war, 'Willingdon Pracht'
lautete) genoß ein so hohes Ansehen auf der Farm, daß ein jeder
gern bereit war, ein Stündchen Schlaf zu opfern, um zu hören,
was er zu sagen hatte.
Auf einer Art Empore an einem Ende der großen Scheune
hatte es sich Major auf seinem Strohlager bereits behaglich
gemacht. Über ihm baumelte eine Laterne von einem Balken. Er
zählte zwölf Jahre und hatte in letzter Zeit tüchtig angespeckt,
war aber noch immer ein majestätisch anzuschauendes Schwein
von weiser und gütiger Erscheinung, ungeachtet des Umstands,
daß seine Hauer nie gekappt worden waren. Bald begannen auch
die übrigen Tiere einzutreffen und es sich nach ihrer jeweiligen
Art bequem zu machen. Zuerst kamen die drei Hunde,
Glockenblume, Jessie und Zwickzwack, und dann die Schweine,
die sich im Stroh direkt vor der Plattform niederließen. Die
Hühner hockten sich auf die Fenstersimse, die Tauben flatterten
ins Sparrenwerk auf, die Schafe und Kühe lagerten sich hinter
den Schweinen und fingen an wiederzukäuen. Die beiden
Zugpferde, Boxer und Kleeblatt, kamen gemeinsam herein; sie
gingen sehr langsam und setzten ihre mächtigen, behaarten Hufe
aus Furcht, es könne irgendein kleines Tier im Stroh verborgen
liegen, ganz behutsam auf. Kleeblatt war eine stämmige
Mutterstute, die sich den mittleren Jahren näherte und die nach
ihrem vierten Fohlen ihre alte Figur nie wieder so recht
zurückgewonnen hatte. Boxer war ein Mordstier, beinahe
achtzehn Hand hoch und so stark wie zwei gewöhnliche Pferde
zusammen. Eine Blesse auf der Nase verlieh ihm ein etwas
dümmliches Aussehen, und er war auch wirklich keine große
Leuchte, wurde aber wegen seiner Charakterfestigkeit und
ungeheuren Arbeitskraft allgemein geachtet. Nach den Pferden
kamen Muriel, die weiße Ziege, und Benjamin, der Esel.
Benjamin war das älteste Tier auf der Farm und das
übellaunigste. Er sprach selten, und wenn, dann meist nur, um
irgend eine zynische Bemerkung von sich zu geben - er sagte
beispielsweise, Gott habe ihm zwar einen Schwanz geschenkt,
um damit die Fliegen zu verscheuchen, doch er persönlich
würde lieber sowohl auf Schwanz wie Fliegen verzichtet haben.
Er war das einzige Tier auf der Farm, das niemals lachte. Fragte
man ihn warum, so pflegte er zu entgegnen, er fände nichts zum
Lachen. Trotzdem hing er, ohne dies offen einzugestehen, an
Boxer; die beiden verbrachten für gewöhnlich ihre Sonntage
zusammen auf der kleinen Koppel hinter dem Obstgarten,
grasten Flanke an Flanke und sagten nie einen Ton.
Die beiden Pferde hatten sich eben niedergelegt, da schnürte
eine Schar Entlein, die ihre Mutter verloren hatten, kläglich
piepsend in die Scheune und watschelte hin und her, um einen
Platz zu finden, wo man nicht auf sie treten würde. Kleeblatt
legte mit ihrem langen Vorderbein eine Art Mauer um sie, und
die Entlein kuschelten sich ein und waren auf der Stelle
eingeschlafen. Im letzten Augenblick kam Mollie, die törichte,
hübsche Schimmelstute, die Mister Jones offenen Zweisitzer zog,
geziert hereingetrippelt und malmte ein Stück Zucker. Sie
wählte sich einen Platz weit vorne und begann kokett ihre weiße
Mähne zu schütteln, in der Hoffnung, damit auf die roten
Bänder aufmerksam zu machen, mit der sie durchflochten war.
Zuallerletzt erschien die Katze, die wie üblich Ausschau nach
dem wärmsten Plätzchen hielt und sich schließlich zwischen
Boxer und Kleeblatt drängte; dort schnurrte sie Majors ganze
Rede über zufrieden, ohne auch nur auf ein Wort von dem zu
hören, was er sagte.
Bis auf Moses, den zahmen Raben, der auf einer Vogelstange
bei der Hintertür schlief, waren jetzt alle Tiere anwesend. Als
Major sah, daß alle es sich bequem gemacht hatten und gespannt
warteten, räusperte er sich und begann:
»Genossen, ihr habt schon von dem sonderbaren Traum
vernommen, den ich letzte Nacht hatte. Doch auf den Traum
komme ich später zu sprechen. Zuerst habe ich euch noch etwas
anderes zu sagen. Ich glaube nicht, Genossen, daß ich noch sehr
viele Monate unter euch weilen werde, und bevor ich sterbe,
halte ich es für meine Pflicht, euch die Weisheit weiterzugeben,
die ich mir erworben habe. Hinter mir liegt ein langes Leben, ich
hatte viel Zeit nachzudenken, während ich allein in meinem
Koben lag, und ich darf wohl von mir behaupten, daß ich die
Natur des Daseins auf dieser Erde ebensogut begreife wie nur
irgendein heute lebendes Tier. Und darüber möchte ich zu euch
sprechen.
Nun, Genossen, wie ist die Natur dieses unseres Lebens?
Seien wir ehrlich: unser Leben ist elend, mühevoll und kurz.
Wir werden geboren, wir bekommen gerade soviel Futter, daß
uns die Puste nicht ausgeht, und wer von uns dazu geeignet ist,
wird gezwungen, bis zum letzten Deut seiner Kraft zu schuften;
und just in dem Augenblick, wo es mit unserer Nützlichkeit aus
ist, werden wir mit scheußlicher Grausamkeit hingeschlachtet.
Wenn es erst einmal ein Jahr alt geworden ist, hat kein Tier in
England mehr eine Vorstellung von Muße und Glück. Kein Tier
in England ist frei. Das Leben eines Tieres ist Jammer und
Sklaverei: das ist die nackte Wahrheit.
Doch liegt dies einfach in der Ordnung der Natur? Liegt es
daran, daß dieses unser Land zu arm ist, um denen, die es
bevölkern, ein anständiges Leben bieten zu können? Nein,
Genossen, und tausendmal nein! Englands Boden ist fruchtbar,
sein Klima ist gut, es ist durchaus imstande, einer
unvergleichlich größeren Zahl von Tieren als jetzt darauf
wohnen Futter im Überfluß zu bieten. Unsere eine Farm hier
würde ein Dutzend Pferde, zwanzig Kühe, Hunderte von
Schafen ernähren - und alle würden sie in einer Bequemlichkeit
und Würde leben, die wir uns jetzt kaum vorzustellen vermögen.
Warum also leben wir in diesem elenden Zustand weiter? Weil
uns fast das gesamte Produkt unserer Arbeit von Menschen
gestohlen wird. Darin, Genossen, liegt die Antwort auf all
unsere Probleme. Sie läßt sich in einem einzigen Wort
zusammenfassen — Mensch. Der Mensch ist unser einzig
wirklicher Feind. Laßt den Menschen von der Bildfläche
verschwinden, und der Urgrund von Hunger und Überarbeitung
ist ein für alle mal beseitigt.
Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das konsumiert, ohne zu
produzieren. Er gibt keine Milch, er legt keine Eier, er ist zu
schwach, den Pflug zu ziehen, er läuft nicht schnell genug, um
Kaninchen zu fangen. Und doch ist er Herr über alle Tiere. Er
schickt sie an die Arbeit und läßt ihnen dafür das bare
Existenzminimum, damit sie ihm nicht verhungern, und den
Rest behält er für sich. Unsere Arbeit ackert den Boden, unser
Dung düngt ihn, und doch gibt es keinen unter uns, der mehr
besäße als die nackte Haut. Ihr Kühe dort vor mir, wie viele
tausend Gallonen Milch habt ihr in diesem letzten Jahr gegeben?
Und was ist mit jener Milch geschehen, mit der robuste
Kälbchen hätten großgezogen werden sollen? Jeder Tropfen
davon ist die Kehlen unserer Feinde hinuntergeronnen. Und ihr
Hennen, wie viele Eier habt ihr in diesem letzten Jahr gelegt,
und aus wie vielen dieser Eier sind je Küken geschlüpft? Alle
übrigen sind auf den Markt gewandert, um Jones und seinen
Leuten Geld zu bringen. Und du, Kleeblatt, wo sind die vier
Fohlen, die du geboren hast und die die Stütze und Erbauung
deines Alters hätten sein sollen? Ein jedes wurde verkauft, als es
ein Jahr alt war - du wirst keins von ihnen jemals mehr
wiedersehen. Was hast du als Dank für deine vier Niederkünfte
und all deine Feldarbeit je anderes erhalten als die kargen
Rationen und einen Stall?
Und nicht einmal das elende Leben, das wir fristen, darf seine
natürliche Spanne währen. Ich, für mein Teil, murre nicht, denn
ich gehöre zu den Glücklichen. Ich bin zwölf Jahre alt und habe
über vierhundert Kinder gehabt. So verläuft ein natürliches
Schweineleben. Doch am Ende entgeht kein Tier dem
grausamen Messer. Ihr jungen Mastferkel, die ihr da vor mir
sitzt, binnen einem Jahr wird ein jedes von euch sein Leben auf
dem Hackklotz ausquieken. Dieses Grauen erwartet uns alle -
Kühe, Schweine, Hühner, Schafe, jeden. Selbst den Pferden und
Hunden steht kein besseres Schicksal bevor. Dich, Boxer, wird
Jones an genau dem Tag, da deine mächtigen Muskeln
erlahmen, dem Abdecker verkaufen, der dir die Kehle
durchschneiden und dich für die Fuchshunde einkochen wird.
Und was die Hunde betrifft, denen bindet Jones einen
Ziegelstein um den Hals und ersäuft sie im nächstbesten Teich,
wenn sie alt werden und die Zähne verlieren.
Ist es also nicht glasklar, Genossen, daß alle Übel dieses
unseres Lebens der Tyrannei der Menschen entspringen? Werdet
nur erst den Menschen los, und die Produkte unserer Arbeit
gehören uns. Beinahe über Nacht könnten wir reich und frei
werden. Was, also, müssen wir tun? Nun, natürlich Tag und
Nacht mit Leib und Seele auf den Sturz des
Menschengeschlechts hinarbeiten! Das ist meine Botschaft an
euch, Genossen: Rebellion! Ich weiß nicht, wann diese Rebellion kommen wird, vielleicht in einer Woche oder in
hundert Jahren, doch ich weiß, so gewiß, wie ich dieses Stroh
hier unter meinen Füßen sehe, daß früher oder später
Gerechtigkeit geübt werden wird. Darauf, Genossen, heftet
während der euch noch verbleibenden, kurzen Lebensspanne
fest den Blick! Und vor allem, gebt diese meine Botschaft jenen
weiter, die nach euch kommen, damit zukünftige Generationen
den Kampf bis zum siegreichen Ende weiterführen.
Und vergeßt nicht, Genossen, nie darf eure Entschlußkraft ins
Wanken geraten. Kein Argument darf euch irreleiten. Hört nie
auf jene, die euch erzählen, der Mensch und die Tiere hätten ein
gemeinsames Interesse, der Wohlstand des einen bedinge den
Wohlstand der anderen. Lauter Lügen. Der Mensch dient einzig
und allein seinem eigenen Interesse. Und unter uns Tieren soll
vollkommene Eintracht, vollkommene Genossenschaft im
Kampf herrschen. Alle Menschen sind Feinde. Alle Tiere sind
Genossen.«
In diesem Augenblick entstand ein Riesentumult. Während
Major sprach, waren vier große Ratten aus ihren Löchern
gekrochen, die ihm, auf ihren Hinterteilen sitzend, zuhörten.
Plötzlich hatten die Hunde sie entdeckt, und nur ein Blitzspurt in
ihre Löcher rettete den Ratten das Leben. Major hob Ruhe
gebietend seine Haxe.
»Genossen«, sagte er, »dieser Punkt bedarf der Klärung. Die
wildlebenden Geschöpfe, wie Ratten und Kaninchen - sind sie
unsere Freunde oder unsere Feinde? Wir lassen darüber
abstimmen. Ich unterbreite der Versammlung die Frage: Sind
Ratten Genossen?«
Man schritt sogleich zur Abstimmung und kam mit
überwältigender Mehrheit überein, daß Ratten Genossen seien.
Es gab nur vier Gegenstimmen, die der drei Hunde und die der
Katze, die freilich, wie sich später herausstellte, für beide Seiten
gestimmt hatte. Major fuhr fort:
»Ich habe nur noch wenig zu sagen. Ich wiederhole bloß:
denkt stets an eure Pflicht, dem Menschen und all seinem Tun
feindlich gegenüberzustehen. Alles was auf zwei Beinen
einhergeht, ist ein Feind. Alles was auf vier Beinen einhergeht
oder Flügel hat, ist ein Freund. Und denkt auch daran, daß wir in
unserem Kampf gegen den Menschen ihm nie gleich werden
dürfen. Auch wenn ihr ihn besiegt habt, verfallt nicht in seine 
Laster. Kein Tier darf je in einem Haus wohnen, oder in einem
Bett schlafen, oder Kleider tragen, oder Alkohol trinken, oder
Tabak rauchen, oder Geld anrühren, oder Geschäfte machen.
Der Mensch hat nur schlimme Gewohnheiten. Und vor allem
darf ein Tier nie seinesgleichen unterdrücken. Schwach oder
stark, schlau oder schlicht, wir alle sind Brüder. Kein Tier darf
je ein anderes töten. Alle Tiere sind gleich.
Und jetzt, Genossen, will ich euch von meinem Traum der
letzten Nacht erzählen. Beschreiben kann ich euch diesen Traum
nicht. Es war ein Traum von der Erde, so wie sie dereinst sein
wird, wenn der Mensch verschwunden ist. Doch er erinnerte
mich an etwas, das ich lange vergessen hatte. Vor vielen Jahren,
als ich noch ein kleines Schweinchen war, da pflegten meine
Mutter und die anderen Sauen ein altes Lied zu singen, von dem
sie nur die Melodie und die ersten drei Worte kannten. In meiner
Kindheit hatte ich diese Melodie auch gekannt, doch seitdem ist
sie mir längst aus dem Sinn gekommen. Letzte Nacht jedoch
kehrte sie mir im Traum zurück. Und nicht nur das, auch die
Worte des Liedes kehrten zurück - Worte, die, ich bin sicher,
von den Tieren vor langer Zeit gesungen wurden und die der
Erinnerung generationenlang entfallen waren. Dieses Lied,
Genossen, will ich euch jetzt vorsingen. Ich bin alt und meine
Stimme ist heiser, aber wenn ich euch die Melodie erst einmal
beigebracht habe, werdet ihr es selbst besser singen. Das Lied
heißt: ›Tiere Englands‹.«
Old Major räusperte sich und begann zu singen. Seine Stimme
war, wie er selbst gesagt hatte, heiser, aber er sang doch recht ordentlich, und die Melodie war mitreißend, ein Mittelding
zwischen ›Hänschenklein‹ und ›La Cucaracha‹. Die Worte
lauteten:
»Tiere Englands, Tiere Irlands,
Tiere, ihr, von fern und weit,
Höret meine frohe Botschaft
Von der gold'nen Zukunftszeit.
Seid gewiß, der Tag wird kommen,
Wo der Tyrann Mensch muß geh'n,
Und auf Englands satten Fluren
Werden nur noch Tiere steh'n.
Nasenringe werden schwinden,
Das Geschirr wird abgeschnallt,
Bügel, Sporen werden rosten,
Keine Peitsche dann mehr knallt.
Unvorstellbar reiche Güter:
Korn und Gerste, Klee und Heu,
Hafer, Bohnen, Mangoldwurzeln,
Schenkt uns dieser Tag erst neu.
Leuchten werden Englands Felder,
Lauterer sein Wasser rinnt,
Lieblicher die Lüfte wehen,
Wenn der Freiheit Tag beginnt.
Diesen Tag gilt's zu erringen,
Sterben wir auch, eh er naht;
Kuh und Roß und Gans und Truthahn
Müssen säen der Freiheit Saat.
Tiere Englands, Tiere Irlands,
Tiere, ihr, von fern und weit,
Hört und kündet frohe Botschaft
Von der gold'nen Zukunftszeit.«
Das Singen dieses Liedes versetzte die Tiere in helle
Aufregung. Noch fast ehe Major zu Ende gekommen war, hatten
sie begonnen, es für sich allein zu singen. Sogar die dümmsten
unter ihnen hatten schon die Melodie und ein paar der Worte
aufgeschnappt, und was die klügeren, wie Schweine und Hunde,
anlangte, so konnten die das ganze Lied in wenigen Minuten
auswendig. Und dann brach, nach einigen Probeversuchen, die
ganze Farm mit ungeheurer Einstimmigkeit in ›Tiere Englands‹
aus. Die Kühe muhten es, die Hunde jaulten es, die Schafe
blökten es, die Pferde wieherten es, die Enten quakten es. Sie
waren so begeistert von dem Lied, daß sie es gleich fünfmal
hintereinanderweg sangen und es vielleicht noch die ganze
Nacht hindurch gesungen hätten, wenn sie nicht unterbrochen
worden wären.
Unglücklicherweise weckte der Spektakel Mister Jones auf, der
aus dem Bett sprang, weil er mit Sicherheit glaubte, daß sich ein
Fuchs auf dem Hof herumtrieb. Er griff sich die Flinte, die
immer in einer Ecke seines Schlafzimmers lehnte, und feuerte
eine Ladung Schrot vom Kaliber 6 in die Dunkelheit hinaus. Die
Schrotkörner gruben sich in die Scheunenwand, und die
Versammlung zerstreute sich eilends. Ein jedes floh zu seinem
Schlafplatz. Das Federvieh hüpfte auf seine Stangen, die
anderen Tiere legten sich ins Stroh, und im Nu war die ganze
Farm eingeschlafen.

Drei Nächte später entschlief Old Major sanft. Sein Leib
wurde im hintersten Winkel des Obstgartens begraben.
Das geschah Anfang März. Während der nächsten drei
Monate gab es viel geheime Aktivitäten. Majors Rede hatte den
intelligenteren Tieren auf der Farm zu einer völlig neuen
Lebensanschauung verholfen. Sie wußten nicht, wann die von
Major vorausgesagte Rebellion stattfinden würde, sie hatten
keinerlei Anlaß zu glauben, daß es noch zu ihren Lebzeiten
geschehen würde, doch sie erkannten deutlich ihre Pflicht, sich
darauf vorzubereiten. Die Aufgabe, die anderen zu unterweisen
und zu organisieren, fiel naturgemäß den Schweinen zu, die
allgemein als die schlauesten Tiere anerkannt wurden. Unter
ihnen wiederum taten sich zwei junge Keiler namens Schneeball
und Napoleon hervor, die Mister Jones zum Verkauf großzog.
Napoleon war ein wuchtiger, ziemlich wildausschauender
Berkshirekeiler, das einzige Berkshireschwein auf der Farm,
kein großer Redner, aber bekannt dafür, sich durchsetzen zu
können. Schneeball war ein lebhafteres Schwein als Napoleon,
redegewandter und einfallsreicher, dem aber nicht die gleiche
Charaktertiefe zugesprochen wurde. Alle übrigen männlichen
Schweine auf der Farm waren Mastferkel. Das bekannteste von
ihnen war ein kleines, fettes Schwein, Schwatzwutz genannt, mit
kugelrunden Backen, Zwinkeräuglein, flinken Bewegungen und
einer schrillen Stimme. Er war ein brillanter Redner, und wenn
er eine schwierige Frage diskutierte, hatte er dabei eine Art, von
einer Seite auf die andere zu hopsen und mit dem Schwanz
durch die Luft zu fegen, die irgendwie sehr überzeugend wirkte.
Die anderen sagten von Schwatzwutz, er könnte aus Schwarz
Weiß machen.
Diese drei hatten die Lehren Old Majors zu einem kompletten
Denksystem ausgearbeitet, dem sie den Namen Animalismus
gaben. Mehrere Nächte in der Woche hielten sie, wenn Mister Jones schlafen gegangen war, geheime Versammlungen in der
Scheune ab und erläuterten den übrigen die Prinzipien des
Animalismus. Anfangs stießen sie auf viel Dummheit und
Wurstigkeit. Einige der Tiere redeten von der Loyalitätspflicht
gegenüber Mister Jones, den sie als ›Herrn‹ bezeichneten, oder sie
machten grundsätzliche Bemerkungen wie: ›MisterJones füttert
uns. Wenn er fort wäre, würden wir verhungern. ‹ Andere
stellten solche Fragen wie: ›Warum sollen wir uns Gedanken
darüber machen, was nach unserem Tod passiert?‹ oder ›Wenn
diese Rebellion sowieso kommt, was macht es da für einen
Unterschied, ob wir für sie arbeiten oder nicht?‹, und die
Schweine hatten alle Mühe, ihnen klarzumachen, daß dies dem
Geist des Animalismus zuwiderliefe. Die allerdümmsten Fragen
stellte Mollie, die Schimmelstute. Ihre erste Frage an Schneeball
lautete: »Wird es nach der Rebellion auch noch Zucker geben?«
»Nein«, sagte Schneeball fest. »Wir verfügen nicht über die
Mittel, um auf dieser Farm Zucker herzustellen. Außerdem
brauchst du gar keinen Zucker. Du wirst soviel Hafer und Heu
haben, wie du nur möchtest.«
»Und werde ich dann auch noch die Bänder in meiner Mähne
tragen dürfen?« fragte Mollie.
»Genossin«, sagte Schneeball, »diese Bänder, an denen du so
hängst, sind das Abzeichen der Knechtschaft. Begreifst du denn
nicht, daß Freiheit mehr wert ist als bunte Bänder?«
Mollie gab ihm Recht, doch sehr überzeugt klang es nicht.
Noch härter war der Kampf, den die Schweine ausfechten
mußten, um den Lügen entgegenzuwirken, die Moses, der
zahme Rabe, verbreitete. Moses, Mister Jones' Augenstern, war ein
Spitzel und Ohrenbläser, aber auch ein erzgeschickter Redner.
Er behauptete, von der Existenz eines geheimnisvollen Landes
mit Namen Kandiszucker-Berg zu wissen, in das alle Tiere nach
ihrem Tod eingingen. Es lag irgendwo im Himmel droben, ein
Stückchen weit über den Wolken, sagte Moses. In
Kandiszucker-Berg war alle Tage Sonntag, der Klee grünte
immerfort und an den Hecken wuchsen Würfelzucker und
Ölkuchen. Die Tiere haßten Moses, weil er ein Klatschmaul war
und nichts arbeitete, aber ein paar von ihnen glaubten doch an
Kandiszucker-Berg, und die Schweine mußten heftigst
debattieren, um sie davon zu überzeugen, daß es solch einen Ort
überhaupt nicht gab.
Ihre getreuesten Jünger waren die zwei Zugpferde, Boxer und
Kleeblatt. Diesen beiden fiel das selbständige Denken schwer,
doch da sie nun einmal die Schweine als Lehrer akzeptiert
hatten, nahmen sie alles auf, was man ihnen erzählte und gaben
es mit einfachen Argumenten an die anderen Tiere weiter. Ihre
Teilnahme an den geheimen Versammlungen in der Scheune
war unermüdlich, und beim Absingen von ›Tiere Englands‹, mit
dem die Versammlungen stets schlossen, gaben sie den Ton an.
Wie sich nun herausstellte, erfolgte die Rebellion viel früher
und viel müheloser, als irgendjemand erwartet hatte. In den
vergangenen Jahren war Mister Jones ein zwar strenger, doch
tüchtiger Farmer gewesen, aber in letzter Zeit hatte ihn das Pech
verfolgt. Als er in einem Prozeß Geld verloren hatte, war er
darüber sehr verzagt geworden und hatte sich, mehr als ihm gut
tat, dem Alkohol ergeben. Manchmal lungerte er ganze Tage
lang müßig auf seinem Windsorstuhl in der Küche herum, las
die Zeitung, trank ein Schlückchen und fütterte dann und wann
Moses mit in Bier getunkten Brotkrusten. Seine Leute waren
träge und unehrlich, die Felder standen voller Unkraut, die
Gebäude schrien geradezu nach dem Dachdecker, die Hecken
wucherten verwahrlost, und die Tiere bekamen zu wenig Futter.
Es wurde Juni, und das Heu war reif zur Mahd. Am Vorabend
des Johannistages, der auf einen Samstag fiel, ging Mister Jones
nach Willingdon und goß sich im Roten Löwen derart einen
hinter die Binde, daß er erst am Sonntagmittag wieder heimfand.
Seine Leute hatten in aller Herrgottsfrühe die Kühe gemolken
und waren dann auf Karnickeljagd ausgezogen, ohne sich die
Mühe zu machen, die Tiere zu füttern. Als Mister Jones
zurückkam, legte er sich gleich mit den ›Weltnachrichten‹ über
dem Gesicht auf dem Wohnzimmersofa schlafen, so daß die
Tiere, als es Abend wurde, noch immer nicht gefüttert waren.
Schließlich hielten sie es nicht länger aus. Eine der Kühe
drückte mit ihren Hörnern die Tür der Futterkammer ein, und
alle Tiere bedienten sich aus den Behältern. Just da erwachte
Mister Jones. Im nächsten Augenblick stand er mit seinen vier
Leuten auch schon peitschenschwingend in der Futterkammer,
und sie hieben in allen Richtungen drauflos. Das war für die
hungrigen Tiere zuviel. Obwohl nichts dergleichen vorderhuf
geplant worden war, stürzten sie sich einmütig auf ihre Peiniger.
Plötzlich hagelte es von allen Seiten Stöße und Tritte auf Jones
und seine Leute. Sie wurden der Situation absolut nicht mehr
Herr. Noch nie hatten sie Tiere sich so aufführen sehen, und
dieser plötzliche Aufstand von Geschöpfen, die sie nach Lust
und Laune zu prügeln und zu mißhandeln gewohnt waren, jagte
ihnen eine Heidenangst ein. Schon nach kurzem stellten sie ihre
Verteidigungsversuche ein und gaben Fersengeld. Eine Minute
darauf flohen alle fünf Hals über Kopf den Karrenweg hinunter,
der auf die Hauptstraße führte, und die Tiere verfolgten sie im
Triumph.
Missus Jones schaute zum Schlafzimmerfenster heraus, sah, was
sich zutrug, stopfte hastig ein paar Habseligkeiten in eine
Reisetasche und schlüpfte auf anderem Wege aus der Farm.
Moses hüpfte von seiner Hockstange und flatterte ihr laut
krächzend hinterdrein. Mittlerweile hatten die Tiere Jones
mitsamt seinen Leuten auf die Straße hinausgejagt und schlugen
das Gittertor mit den fünf Querstangen hinter ihnen zu. Und so
war, ehe sie noch recht wußten, wie ihnen geschah, die
Rebellion erfolgreich durchgeführt: Jones war vertrieben, und
die Herren-Farm gehörte ihnen.
Zuerst konnten es die Tiere kaum fassen, daß sie soviel
Schwein gehabt hatten. Ihre erste Handlung bestand darin,
geschlossen um die Grenzen der Farm zu galoppieren, so als
wollten sie ganz sicher gehen, daß sich nirgendswo mehr ein
Mensch versteckt hielt; dann stürmten sie zu den Farmgebäuden
zurück, um die letzten Spuren von Jones' verhaßter Herrschaft
auszutilgen. Die Geschirrkammer am Ende der Ställe wurde
aufgebrochen; die Kandaren, die Nasenringe, die Hundeketten,
die grausamen Messer, mit denen Mister Jones die Schweine und
Lämmer immer kastriert hatte, wanderten samt und sonders in
den Brunnen. Die Zügel, die Halfter, die Scheuklappen, die
entwürdigenden Nasenbeutel flogen ins Kehrichtfeuer, das im
Hof brannte. Und die Peitschen auch. Alle Tiere vollführten
Freudensprünge, als sie die Peitschen in Flammen aufgehen
sahen. Schneeball warf auch die Bänder ins Feuer, mit denen die
Mähnen und Schweife der Pferde an Markttagen gewöhnlich
geputzt worden waren.
»Bänder«, sagte er, »sollten als Kleidungsstücke angesehen
werden, die ja das Erkennungsmerkmal des Menschen sind. Alle
Tiere sollten nackt gehen.« Als Boxer dies hörte, holte er den
kleinen Strohhut, den er sommers trug, um die Ohren vor
Fliegen zu schützen, und warf ihn zu dem übrigen ins Feuer.
In allerkürzester Zeit hatten die Tiere alles vernichtet, was sie
an Mister Jones erinnerte. Dann führte Napoleon sie zur
Futterkammer zurück und teilte an jeden eine doppelte Ration
Korn aus, und jeder Hund bekam zwei Hundekuchen. Nun
sangen sie noch siebenmal hintereinander ›Tiere Englands‹ von
Anfang bis Ende, und danach richteten sie sich für die Nacht ein
und schliefen so tief wie nie zuvor.
Doch bei Morgengrauen erwachten sie wie gewöhnlich, und
als sie sich plötzlich der grandiosen Sache erinnerten, die
passiert war, da stürmten sie alle zusammen auf die Weide
hinaus. Ein kurzes Stück die Weide hinunter lag ein kleiner,
rundlicher Hügel, der einen Blick über den größten Teil der
Farm erlaubte. Die Tiere liefen zu seiner Kuppe hinauf und
schauten im klaren Morgenlicht rings um sich her. Ja, es gehörte
ihnen - alles was sie erblicken konnten, gehörte ihnen! In ihrem
Begeisterungstaumel darüber tollten sie umher und vollführten
wahre Luftsprünge vor Aufregung. Sie kullerten sich im Tau, sie
rissen das leckere Sommergras büschelweise aus, sie scharrten
Klumpen schwarzer Erde auf und schnupperten ihren würzigen
Geruch. Dann unternahmen sie einen Inspektionsgang über die
ganze Farm und musterten mit sprachloser Bewunderung das
Ackerland, die Wiese, den Obstgarten, den Teich, das
Buschwerk. Es war, als hätten sie all diese Dinge nie zuvor
gesehen, und selbst jetzt konnten sie es kaum glauben, daß das
alles ihnen gehörte.
Dann marschierten sie zu den Farmgebäuden zurück und
blieben schweigend vor der Tür des Farmhauses stehen. Auch
das gehörte ihnen, aber sie fürchteten sich davor hineinzugehen.
Nach einer Weile jedoch stießen Schneeball und Napoleon die
Tür mit ihren Schultern auf, und die Tiere traten im
Gänsemarsch ein und gingen mit äußerster Behutsamkeit weiter,
um nur ja keine Unordnung zu stiften.
Sie zehenspitzten von Zimmer zu Zimmer, trauten sich gerade
noch zu flüstern und besahen mit einer Art Ehrfurcht den
unglaublichen Luxus, die Betten mit ihren Federmatratzen, die
Spiegel, das Roßhaarsofa, den Brüsseler Teppich, die
Lithographie der Königin Victoria über dem Kaminsims des
Wohnzimmers. Sie kamen gerade die Treppe hinunter, da
entdeckte man, daß Mollie fehlte. Die anderen kehrten um und
suchten nach ihr; man fand sie im guten Schlafzimmer. Sie hatte
von Missus Jones' Toilettentisch ein Stück blaues Band
genommen, hielt es sich an die Schulter und bewunderte sich auf
höchst törichte Art im Spiegel. Die anderen schalten sie heftig,
und dann gingen alle hinaus. Etliche Schinken, die in der Küche
baumelten, wurden zur Beerdigung nach draußen geschafft, und
das Bierfäßchen in der Spülküche schlug ein Huftritt Boxers
leck, doch ansonsten wurde im Haus nichts angerührt. Man faßte
sogleich den einhelligen Beschluß, das Farmhaus als Museum
weiterzuerhalten. Alle waren der Meinung, daß dort niemals ein
Tier wohnen dürfe.
Die Tiere frühstückten, und dann wurden sie von Schneeball
und Napoleon wieder zusammengerufen.
»Genossen«, sagte Schneeball, »es ist halb sieben, und wir
haben einen langen Tag vor uns. Heute beginnen wir mit der
Heuernte. Doch zuerst gilt es noch etwas anderes zu erledigen.«
Die Schweine enthüllten jetzt, daß sie sich während der
vergangenen drei Monate das Lesen und Schreiben beigebracht
hatten, und zwar aus einer alten Fibel, die einst den Kindern von
Mister Jones gehört hatte und anschließend auf dem Misthaufen
gelandet war. Napoleon ließ Töpfe mit schwarzer und weißer
Farbe herbeischaffen und ging voran hinunter zu dem Gittertor
mit den fünf Querstangen, das auf die Hauptstraße führte. Dann
klemmte sich Schneeball (denn Schneeball konnte am besten
schreiben) einen Pinsel zwischen die beiden Klauen seiner
Schweinshaxe, übermalte das Wort HERREN-FARM auf dem
obersten Torbalken und schrieb dafür FARM DER TIERE hin.
So sollte von nun an der Name der Farm lauten. Hierauf gingen
sie zu den Farmgebäuden zurück, wo Schneeball und Napoleon
nach einer Leiter schickten, die sie an die Rückwand der großen
Scheune lehnen ließen. Sie erklärten, daß es den Schweinen im
Verlauf ihres dreimonatigen Studiums gelungen sei, die
Prinzipien des Animalismus auf Sieben Gebote zu reduzieren.
Und diese Sieben Gebote würden jetzt an die Wand geschrieben
werden; sie würden das unabänderliche Gesetz bilden, nach dem
hinfort alle Tiere auf der Farm der Tiere leben müßten. Mit
einiger Mühe (denn es fällt einem Schwein nicht leicht, auf einer
Leiter zu balancieren) kraxelte Schneeball hoch und ging ans
Werk, während ihm einige Sproßen tiefer Schwatzwutz den
Farbtopf hielt. Die Gebote wurden in großen, weißen
Buchstaben an die geteerte Wand geschrieben, so daß man sie
aus dreißig Metern Entfernung lesen konnte. Sie lauteten wie
folgt:
Die Sieben Gebote
1. Alles was auf zwei Beinen geht, ist ein Feind.
2. Alles was auf vier Beinen geht oder Flügel hat, ist ein
Freund.
3. Kein Tier soll Kleider tragen.
4. Kein Tier soll in einem Bett schlafen.
5. Kein Tier soll Alkohol trinken.
6. Kein Tier soll ein anderes Tier töten.
7. Alle Tiere sind gleich.
Es war sehr sauber geschrieben, und abgesehen davon, daß
›Fruend‹ statt ›Freund‹ zu lesen war und ein ›s‹ seitenverkehrt,
stimmte die Orthographie durchweg. Zum Nutzen der übrigen
las es Schneeball laut vor. Alle Tiere nickten völlige
Zustimmung, und die schlaueren begannen sogleich, die Gebote
auswendig zu lernen.
»Nun, Genossen«, sagte Schneeball und warf den Malerpinsel
hin, »zur Wiese! Ehrensache, daß wir die Ernte schneller
einbringen, als es Jones und seine Leute tun könnten.«
Doch in diesem Augenblick ließen die drei Kühe, die sich
schon seit geraumer Zeit unbehaglich gefühlt zu haben schienen,
ein lautes Muhen vernehmen. Sie waren seit vierundzwanzig
Stunden nicht mehr gemolken worden, und ihre Euter platzten
fast. Nach kurzem Überlegen ließen die Schweine Eimer holen
und molken die Kühe mit recht gutem Erfolg, da ihre Haxen für
diese Arbeit bestens geeignet waren. Bald schäumte in fünf
Eimern sahnige Milch, die von vielen der Tiere mit erheblichem
Interesse betrachtet wurde.
»Was soll mit der vielen Milch geschehen?« fragte eines.
»Jones mischte manchmal etwas davon in unseren
Futterbrei«, sagte eine der Hennen.
»Sorgt euch nicht um die Milch, Genossen!« rief Napoleon
und baute sich vor den Eimern auf. »Darum wird sich schon
gekümmert werden. Die Ernte ist wichtiger. Genosse Schneeball
wird euch anführen. Ich folge in wenigen Minuten. Vorwärts,
Genossen! Das Heu wartet.«
So zogen die Tiere in Scharen zur Wiese, um mit der Ernte zu
beginnen, und als sie am Abend zurückkamen, bemerkte man,
daß die Milch verschwunden war.

Und wie sie sich plackten und schwitzten, um das Heu
einzubringen! Doch ihre Mühen wurden belohnt, denn die Ernte
war sogar ein noch größerer Erfolg, als sie erhofft hatten.
Manchesmal war die Arbeit hart; die Geräte waren für
Menschen geschaffen worden und nicht für Tiere, und es war
ein großer Nachteil, daß kein Tier ein Werkzeug benutzen
konnte, zu dessen Gebrauch es sich auf die Hinterbeine hätte
stellen müssen. Doch die Schweine waren so gewitzt, daß ihnen
zu jeder Schwierigkeit auch immer ein Ausweg einfiel. Was die
Pferde betraf, so kannten sie jeden Zoll des Felds und
verstanden sich auf das Geschäft des Mähens und Rechens
fürwahr weit besser, als Jones und seine Leute es je getan hatten.
Die Schweine arbeiteten nicht im eigentlichen Sinne, sie
dirigierten und überwachten vielmehr die übrigen. Bei ihrem
überlegenen Wissen war es nur natürlich, daß sie die
Führungsrolle übernahmen. Boxer und Kleeblatt schirrten sich
selber vor das Schneidemesser oder den Pferderechen (Kandaren
und Zügel waren in diesen Tagen natürlich überflüssig) und
stapften pflichtgetreu immer wieder um das Feld, und hinter
ihnen lief ein Schwein und rief: ›Hüh hott, Genosse!‹ oder ›Brrr,
steh Genosse!‹, ganz je nachdem eben. Und bis hinunter zum
geringsten Tier half ein jedes beim Wenden und Sammeln des
Heus mit. Sogar die Enten und Hühner schleppten sich den
ganzen Tag in der Sonne hin und her und trugen winzige
Heuwische in ihren Schnäbeln herbei. Schließlich dauerte die
Ernte bei ihnen zwei Tage kürzer, als sie bei Jones und seinen
Leuten sonst immer gedauert hatte. Außerdem war es die größte
Ernte, die die Farm jemals gesehen hatte. Es war rein gar nichts
liegen geblieben; mit ihren scharfen Augen hatten die Hühner
und Enten auch noch den allerletzten Halm aufgelesen. Und
kein Tier auf der Farm hatte auch nur ein Maul voll gestohlen.
Den ganzen Sommer über lief die Arbeit auf der Farm wie am
Schnürchen. Die Tiere waren so glücklich, wie sie es nie für
möglich gehalten hätten. Jeder Bissen Futter war ein echter
Hochgenuß, jetzt wo es wirklich ihr eigenes Futter war, von
ihnen selbst und für sie selbst produziert und nicht mehr von
einem mißgünstigen Herrn widerwillig an sie ausgeteilt. Nun, da
die nichtswürdigen, schmarotzenden Menschen fort waren, hatte
jeder mehr zu fressen. Und obwohl es ihnen an Erfahrung
mangelte, gab es doch auch mehr Freizeit. Sie trafen auf viele
Schwierigkeiten - als sie, zum Beispiel, später im Jahr das
Getreide ernteten, mußten sie ganz im alten Stil das Korn
austreten und mit ihrem Atem die Spreu wegpusten, denn die
Farm besaß keine Dreschmaschine - doch die Schweine mit
ihrer Schläue und Boxer mit seinen ungehe uren Muskeln halfen
ihnen immer wieder aus der Klemme. Boxer wurde von allen
bewundert. Er war schon zu Jones' Zeiten ein Schwerarbeiter
gewesen, doch jetzt glich er mehr drei Pferden als einem; es gab
Tage, da schien die gesamte Farmarbeit auf seinen mächtigen
Schultern zu lasten. Von früh bis spät schob und zog er immer
dort, wo die Arbeit am schwersten war. Er hatte mit einem der
Junghähne die Abmachung getroffen, daß dieser ihn morgens
eine halbe Stunde früher wachkrähte als die übrigen, und bevor
die regelmäßige Tagesarbeit begann, leistete er dort, wo es am
allernötigsten schien, ein wenig Freiwilligenarbeit. Seine
Antwort auf jedes Problem, jeden Rückschlag lautete: »Ich will
und werde noch härter arbeiten!« - und dies hatte er sich als
persönliches Motto zu eigen gemacht.
Doch jeder arbeitete nach seinem Vermögen. Die Hühner und
Enten zum Beispiel gewannen bei der Ernte durch das Auflesen
der verstreuten Körner fünf Scheffel Getreide. Niemand stahl,
niemand murrte über seine Rationen, das Streiten und Beißen
und die Eifersüchteleien, die früher zur Tagesordnung gehört
hatten, waren beinahe verschwunden. Niemand drückte sich -
oder fast niemand. Mollie, freilich, war im frühmorgens
Aufstehen nicht besonders gut und hatte die Angewohnheit, mit
der Begründung, sie spüre einen Stein im Huf, zeitig die Arbeit
zu verlassen. Und auch das Betragen der Katze war recht
eigentümlich. Man stellte bald fest, daß die Katze nie zu finden
war, wenn es Arbeit gab. Sie blieb stundenlang verschwunden
und tauchte dann zu den Mahlzeiten oder abends, wenn die
Arbeit getan war, wie von ungefähr wieder auf. Doch sie brachte
immer so ausgezeichnete Entschuldigungen vor und schnurrte so
ergeben, daß sich unmöglich an ihren guten Absichten zweifeln
ließ. Der alte Benjamin, der Esel, schien durch die Rebellion
gänzlich unverändert. Er tat seine Arbeit auf die gleiche
langsame, störrische Art wie zu Jones' Zeiten, drückte sich nicht,
meldete sich aber auch nie zu freiwilliger Arbeit. Über die
Rebellion und ihre Ergebnisse mochte er sich nicht äußern.
Wurde er gefragt, ob er denn jetzt, da Jones fort war, nicht
glücklicher sei, sagte er bloß: »Esel haben ein langes Leben.
Keiner von euch hat je einen toten Esel gesehen«, und die
anderen mußten sich mit dieser rätselhaften Antwort bescheiden.
Sonntags wurde nicht gearbeitet. Frühstück gab es eine
Stunde später als sonst, und nach dem Frühstück fand eine
Zeremonie statt, die jede Woche ohne Fehl abgehalten wurde.
Zuerst wurde die Flagge gehißt. Schneeball hatte in der
Geschirrkammer ein altes grünes Tischtuch von Missus Jones
gefunden und darauf mit weißer Farbe einen Huf und ein Horn
gemalt. Und diese Flagge wurde jeden Sonntagmorgen an dem
Fahnenmast im Farmhausgarten aufgezogen. Die Flagge sei
grün, so erklärte Schneeball, um die grünen Fluren Englands zu
versinnbildlichen, wohingegen Huf und Horn die zukünftige
Republik der Tiere bedeuteten, die entstehen würde, wenn die
menschliche Rasse endgültig besiegt worden wäre. Nach dem
Hissen der Flagge strömten alle Tiere in die große Scheune zu
einer Generalversammlung, die als das ›Treffen‹ bekannt war.
Hier wurde die Arbeit für die kommende Woche geplant,
wurden Resolutionen eingebracht und debattiert. Immer waren
es die Schweine, die die Resolutionen einbrachten. Die anderen
Tiere wußten zwar, wie man abstimmte, doch eigene
Resolutionen fielen ihnen nie ein. In den Debatten waren
Schneeball und Napoleon bei weitem die aktivsten. Doch ließ
sich dabei bemerken, daß die beiden nie einer Meinung waren:
gleichgültig welchen Vorschlag der eine machte, der andere
wandte sich mit Sicherheit dagegen. Selbst als beschlossen
wurde - ein Beschluß, gegen den eigentlich niemand etwas
einwenden konnte - , eine kleine Koppel hinter dem Obstgarten
als Ruheheim für Tiere zu reservieren, die aus dem Arbeitsalter
heraus waren, gab es eine stürmische Debatte über das korrekte
Pensionsalter für jede Tierklasse. Das Treffen endete stets mit
dem Absingen von ›Tiere Englands‹, und der Nachmittag
gehörte der Erholung.
Die Schweine hatten ihr Hauptquartier in der Geschirrkammer
aufgeschlagen. Hier erlernten sie abends aus Büchern, die sie
aus dem Farmhaus geholt hatten, die Schmiedekunst, das
Schreinerhandwerk und andere nötige Fertigkeiten. Schneeball
beschäftigte sich auch damit, die anderen Tiere in sogenannten
›Tierkomitees‹ zu organisieren. Hierin war er unermüdlich. Er
schuf das ›Eierproduktions-Komitee‹ für die Hennen, die
›Sauberschwanz-Liga‹ für die Kühe, das ›Reedukationskomitee
für Wilde Genossen‹ (dessen Ziel es war, die Ratten und
Kaninchen zu zähmen), die ›Weißere-Wolle-Bewegung‹ für die
Schafe, sowie verschiedene andere, und richtete nebenher noch
Klassen ein, in denen Lesen und Schreiben gelehrt wurde. Im
ganzen waren diese Projekte eine Riesenpleite. Der Versuch, die
wilden Tiere zu zähmen, brach, zum Beispiel, beinahe
augenblicklich wieder zusammen. Sie benahmen sich weiterhin
wie zuvor, und behandelte man sie mit Großmut, so nutzten sie
diese schlicht und einfach nur aus. Die Katze trat dem
›Reedukationskomitee‹ bei
und war darin einige Tage lang sehr aktiv. Man sah sie eines
Tages auf dem Dach sitzen und zu einigen Sperlingen sprechen,
die sich außerhalb ihrer Krallenweite befanden. Sie erzählte
ihnen, daß alle Tiere jetzt Genossen seien und daß sich jeder
Sperling, der nur Lust dazu verspüre, auf ihrer Pfote
niederlassen könne; doch die Sperlinge blieben auf Abstand.
Die Lese- und Schreibklassen hingegen waren ein voller
Erfolg. Bis zum Herbst war beinahe jedes Tier auf der Farm in
einem gewissen Grade gebildet.
Was die Schweine betraf, so konnten sie schon perfekt lesen
und schreiben. Die Hunde lernten recht gut lesen, interessierten
sich aber ausschließlich für die Lektüre der Sieben Gebote.
Muriel, die Ziege, konnte etwas besser lesen als die Hunde und
pflegte den anderen manchmal abends aus den Zeitungsfetzen
vorzulesen, die sie auf dem Abfallhaufen fand. Benjamin konnte
ebensogut lesen wie jedes Schwein, doch er wandte seine
Fähigkeit nie an. So weit er wisse, sagte er, sei nichts
lesenswert. Kleeblatt lernte das ganze Alphabet, konnte aber
keine Wörter zusammensetzen. Boxer kam nicht über den
Buchstaben D hinaus. Er malte A, B, C, D mit seinem großen
Huf in den Staub und stand dann da und starrte mit angelegten
Ohren die Buchstaben an, schüttelte manchmal seine Stirnlocke
und versuchte sich mit aller Macht daran zu erinnern, was als
nächstes kam, ohne damit aber jemals Erfolg zu haben. Er lernte
freilich auch mehrmals die Buchstaben E, F, G, H, doch wenn er
sie endlich konnte, stellte sich immer heraus, daß er A, B, C, D
vergessen hatte. Zuletzt beschloß er, sich mit den ersten vier
Buchstaben zufriedenzugeben, und schrieb sie gewöhnlich ein-
oder zweimal täglich hin, um sein Gedächtnis aufzufrischen.
Mollie weigerte sich, andere Buchstaben zu lernen als die sechs,
aus denen ihr Name bestand. Diese bildete sie sehr hübsch aus
Aststückchen, dekorierte sie dann mit ein paar Blumen und ging
bewundernd um sie herum.
Von den anderen Tieren auf der Farm kam keines weiter als
bis zum Buchstaben A. Es zeigte sich auch, daß die dümmeren
Tiere wie Schafe, Hühner und Enten unfähig waren, die Sieben
Gebote auswendig zu lernen. Nach langem Sinnen erklärte
Schneeball, die Sieben Gebote ließen sich tatsächlich auf eine
einzige Maxime reduzieren, nämlich: »Vierbeiner gut,
Zweibeiner schlecht.« Dies, sagte er, enthalte das wesentliche
Prinzip des Animalismus. Wer dies einmal gründlich begriffen
habe, sei vor menschlichen Einflüssen sicher. Die Vögel
erhoben zunächst Einwände, denn es schien ihnen, daß auch sie
zwei Beine hätten, aber Schneeball bewies ihnen, daß dem nicht
so war.
»Ein Vogelflügel, Genossen«, sagte er, »ist ein Organ der
Mobilisation, nicht aber der Manipulation. Er sollte deshalb als
Bein angesehen werden. Das Unterscheidungsmerkmal des
Menschen ist die Hand, das Instrument, mit dem er all seine
Übel anrichtet.«
Die Vögel verstanden Schneeballs lange Worte nicht, doch sie
akzeptierten seine Erklärung, und alle anspruchsloseren Tiere
gingen sogleich daran, die neue Maxime auswendig zu lernen.
VIERBEINER GUT, ZWEIBEINER SCHLECHT
wurde oberhalb der Sieben Gebote und mit noch größeren
Buchstaben an die Rückwand der Scheune geschrieben. Als sie
sie erst einmal auswendig konnten, entwickelten die Schafe eine
große Vorliebe für diese Maxime, und oft, wenn sie auf der
Wiese lagen, begannen sie alle zu blöken: »Vierbeiner gut,
Zweibeiner schlecht! Vierbeiner gut, Zweibeiner schlecht!«, und
das stundenlang, ohne es jemals sattzubekommen.
Napoleon interessierte sich nicht für Schneeballs Komitees.
Er sagte, die Erziehung der Jungen sei wichtiger als alles, was
man für die bereits Erwachsenen tun könne. Es begab sich, daß
Jessie und Glockenblume bald nach der Heuernte geworfen und
miteinander neun strammen Welpen das Leben geschenkt
hatten. Sobald sie entwöhnt waren, holte Napoleon sie von ihren
Müttern weg und sagte, er werde persönlich für ihre Erziehung
haften. Er brachte sie in einen Speicher hinauf, der sich nur von
der Geschirrkammer aus mittels einer Leiter erreichen ließ, und
dort hielt er sie so abgeschlossen, daß die übrigen Tiere der
Farm ihr Dasein rasch vergessen hatten.
Das Geheimnis, wohin die Milch verschwand, klärte sich bald
auf. Sie wurde täglich dem Futter der Schweine beigemischt.
Die Frühäpfel reiften jetzt, und das Gras des Gartens war mit
Fallobst übersät. Die Tiere hatten es als selbstverständlich
angenommen, daß es zu gleichen Teilen unter ihnen aufgeteilt
würde; eines Tages jedoch erging der Befehl, alles Fallobst sei
einzusammeln und zur Verfügung der Schweine in die
Geschirrkammer zu bringen. Hierüber murrten einige der
anderen Tiere, doch es nutzte nichts. Alle Schweine waren sich
in diesem Punkt völlig einig, selbst Schneeball und Napoleon.
Schwatzwutz wurde ausgeschickt, um den übrigen die
erforderlichen Erklärungen zu geben.
»Genossen!«, rief er. »Ihr glaubt doch hoffentlich nicht etwa,
wir Schweine täten dies aus Eigennutz oder Privilegdenken?
Viele von uns mögen eigentlich Milch und Äpfel gar nicht. Ich
persönlich verabscheue sie. Wenn wir diese Dinge zu uns
nehmen, so tun wir dies mit dem einzigen Ziel, unsere
Gesundheit zu erhalten. Milch und Äpfel (das ist
wissenschaftlich erwiesen, Genossen) enthalten Substanzen, die
für das Wohlbefinden eines Schweins absolut nötig sind. Wir
Schweine sind Kopfarbeiter. Die ganze Leitung und
Organisation dieser Farm hängt von uns ab. Wir wachen Tag
und Nacht über eure Wohlfahrt. Um euretwillen trinken wir
diese Milch und essen wir diese Äpfel. Wißt ihr, was geschehen
würde, wenn wir Schweine in unserer Pflicht versagten? Jones
würde zurückkommen! Ja, das würde er! Bestimmt, Genossen«,
rief Schwatzwutz beinahe flehentlich, hopste von einer Seite auf
die andere und fegte mit dem Schwanz durch die Luft,
»bestimmt ist keiner unter euch, der es erleben möchte, daß
Jones zurückkommt?«
Wenn es nun etwas gab, worüber sich die Tiere völlig sicher
waren, dann das, daß sie Jones nicht zurückhaben wollten. Als
ihnen die Angelegenheit in diesem Licht präsentiert wurde,
hatten sie weiter nichts mehr zu sagen. Die Dringlichkeit, die
Schweine bei guter Gesundheit zu erhalten, war allzu
offensichtlich. Also kam man ohne weitere Debatten überein,
daß die Milch und das Fallobst (und später auch die Haupternte
der Äpfel) den Schweinen allein vorbehalten bleiben sollten.

Bis zum Spätsommer hatte sich die Kunde dessen, was auf der
Farm der Tiere geschehen war, durch die halbe Grafschaft
verbreitet. Täglich entsandten Schneeball und Napoleon
Taubenschwärme, die Anweisung hatten, sich unter die Tiere
der Nachbarfarmen zu mischen, ihnen die Geschichte der
Rebellion zu erzählen und die Melodie von ›Tiere Englands‹
beizubringen.
Die meiste Zeit hiervon hatte Mister Jones damit verbracht, in
der Schankstube des ›Roten Löwen‹ zu Willingdon zu sitzen
und jedem, der es hören wollte, sein Leid über das
ungeheuerliche Unrecht zu klagen, das ihm dadurch widerfahren
sei, daß ihn eine Bande nichtsnutziger Tiere von seinem Besitz
vertrieben habe. Die anderen Farmer sympathisierten im Grunde
mit ihm, halfen ihm aber anfangs kaum. Insgeheim fragte sich
jeder einzelne von ihnen, ob er aus Jones' Mißgeschick nicht
irgendwie Nutzen schlagen könnte. Es traf sich glücklich, daß
die Besitzer der beiden Farmen, die an die Farm der Tiere
angrenzten, dauernd auf gespanntem Fuß lebten.
Eine von ihnen, ›Fuchswald‹ genannt, war eine große,
verwahrloste, altmodische Farm, arg von Waldland
überwachsen, mit ausgelaugten Weiden und mit Hecken, deren
Zustand entwürdigend war. Ihr Besitzer, Mister Pilkington, war ein
leichtlebiger Gutsherr, der seine Zeit - saisonbedingt - zumeist
mit Fischen oder Jagen verbrachte. Die andere Farm, die
›Knickerfeld‹ hieß, war kleiner und besser in Schuß. Ihr
Eigentümer war ein gewisser Mister Frederick, ein zäher,
gerissener Mann, der andauernd in Prozesse verwickelt war und
in dem Ruf stand, bei Geschäften rücksichtslos seinen Vorteil zu
wahren. Diese zwei waren einander so spinnefeind, daß es ihnen
sauer wurde, zu irgendeiner Übereinkunft zu gelangen, auch
wenn es sich um die Verteidigung ihrer eigenen Interessen
handelte.
Nichtsdestoweniger hatte die Rebellion auf der Farm der
Tiere ihnen beiden einen gehörigen Schrecken eingejagt, und sie
waren ängstlich darauf bedacht, zu verhindern, daß ihre eigenen
Tiere allzu viel darüber erfuhren. Zuerst taten sie so, als
amüsierten sie sich hämisch über die Vorstellung, daß Tiere eine
Farm in eigener Leitung betrieben. Die ganze Sache würde
binnen vierzehn Tagen vorbei sein, sagten sie. Sie streuten das
Gerücht aus, daß die Tiere auf der ›Herren-Farm‹ (sie nannten
sie beharrlich die ›Herren-Farm‹; den Namen ›Farm der Tiere‹
duldeten sie nicht) in ständigem Zwist untereinander lebten und
auch rasch verhungern würden. Als die Zeit ins Land ging und
die Tiere offensichtlich nicht verhungert waren, schlugen
Frederick und Pilkington andere Töne an und begannen von der
schrecklichen Verruchtheit zu reden, die jetzt auf der Farm der
Tiere floriere. Es wurde ausgesprengt, daß die Tiere dort dem
Kannibalismus frönten, einander mit rotglühenden Hufeisen
folterten und sich ihre Weibchen teilten. Das komme davon,
wenn man gegen die Naturgesetze rebelliere, sagten Frederick
und Pilkington.
Doch diese Geschichten wurden immer nur zur Hälfte
geglaubt. Gerüchte von einer wundervollen Farm, von der die
Menschen vertrieben worden seien und wo die Tiere ihre
Angelegenheiten selber regelten, kursierten weiterhin in vager
und entstellter Form, und das ganze Jahr hindurch spülte eine
Welle der Widerspenstigkeit über das Land. Bullen, die immer
fügsam gewesen waren, wurden plötzlich wild, Schafe rissen die
Hecken nieder und fraßen den Klee, Kühe stießen den
Melkkübel um, Jagdpferde verweigerten vor den Hürden und
warfen ihre Reiter hinüber. Vor allem aber waren die Melodie
und sogar der Text von ›Tiere Englands‹ überall bekannt. Das
Lied hatte sich mit erstaunlicher Schnelligkeit verbreitet. Die
Menschen vermochten ihre Wut nicht zu bremsen, wenn sie dies
Lied hörten, obwohl sie so taten, als fänden sie es einfach bloß
lächerlich. Es sei ihnen unbegreiflich, sagten sie, wie selbst
Tiere es über sich bringen könnten, einen so schamlosen
Quatsch zu singen. Jedes Tier, das beim Singen erwischt wurde,
bekam auf der Stelle eine Tracht Prügel. Und dennoch ließ sich
das Lied nicht unterdrücken. Die Amseln zwitscherten es in den
Hecken, die Tauben gurrten es in den Ulmen, es drang in den
Lärm der Schmieden und in das Geläute der Kirchenglocken.
Und wenn die Menschen ihm lauschten, dann zitterten sie
insgeheim, denn sie glaubten darin die Prophezeiung ihres
nahenden Untergangs zu vernehmen.
Früh im Oktober, als das Getreide geschnitten und geschobert
und teilweise auch schon gedroschen war, kam ein
Taubenschwarm durch die Luft herangewirbelt und landete in
heller Erregung im Hof der Farm der Tiere. Jones und alle seine
Leute und obendrein noch ein halbes Dutzend andere von
Fuchswald und Knickerfeld hätten das Gittertor mit den fünf
Querstangen aufgebrochen und kämen schon den Karrenweg
herauf, der zur Farm führte. Sie trügen alle Knüppel, bis auf
Jones, der mit der Flinte in der Hand voranmarschiere. Sie
wollten ganz offensichtlich die Rückeroberung der Farm
versuchen.
Dies war seit langem erwartet worden, und man hatte alle
Vorkehrungen getroffen. Schneeball, der im Farmhaus ein altes
Buch über die Feldzüge Julius Caesars gefunden und es studiert
hatte, leitete die Verteidigungsmaßnahmen. Er erteilte rasch
seine Befehle, und binnen weniger Minuten war jedes Tier auf
seinem Posten.
Als sich die Menschen den Farmgebäuden näherten, lancierte
Schneeball seine erste Attacke. Alle Tauben, fünfunddreißig
Stück an der Zahl, schwirrten über den Köpfen der Männer und
ließen im Flug ihren Mist auf sie fallen; und während die
Männer damit zu schaffen hatten, schossen die Gänse aus ihrem
Versteck hinter der Hecke hervor und hackten grimmig nach
ihren Waden. Doch dies diente lediglich als kleines
Scharmützelmanöver, um ein wenig Verwirrung zu stiften, und
die Männer verscheuchten die Gänse mühelos mit ihren
Knüppeln. Jetzt ließ Schneeball die zweite Angriffswelle rollen.
Muriel, Benjamin und alle Schafe stürmten, mit Schneeball an
der Spitze, vorwärts und stießen und stachen die Männer von
allen Seiten, während Benjamin sich umdrehte und mit seinen
kleinen Hufen nach ihnen auskeilte. Doch abermals waren die
Männer mit ihren Knüppeln und den genagelten Stiefeln zu gut
für sie gerüstet; und plötzlich, auf ein Quieken Schneeballs hin,
das das Signal zum Rückzug war, machten alle Tiere kehrt und
flohen durch das Tor in den Hof.
Die Männer stimmten ein Triumphgeschrei an. Sie glaubten
ihre Feinde in die Flucht geschlagen und stürmten ihnen
ungeordnet hinterdrein. Genau das hatte Schneeball
beabsichtigt. Sobald die Männer alle im Hof standen, tauchten
hinter ihnen plötzlich die drei Pferde, die drei Kühe und die
übrigen Schweine, die alle im Kuhstall auf der Lauer gelegen
hatten, auf und schnitten ihnen den Rückzug ab. Schneeball gab
jetzt das Signal zum Sturmangriff. Er selbst stürzte sich direkt
auf Jones. Jones sah ihn kommen, legte die Flinte an und
feuerte. Die Schrotkörner rissen blutige Striemen über
Schneeballs Rücken, und ein Schaf fiel tot um. Ohne auch nur
einen Augenblick lang zu zaudern, warf sich Schneeball mit
seinen einhundertneunzig Pfund gegen Jones' Beine. Jones
segelte in einen Misthaufen, und die Flinte flog ihm aus der
Hand. Das beängstigendste Schauspiel aber bot Boxer, der sich
auf seinen Hinterläufen aufbäumte und mit seinen mächtigen,
eisenbeschlagenen Hufen wie ein Hengst ausschlug. Schon sein
erster Tritt traf einen Stallburschen von Fuchswald am Schädel
und streckte ihn leblos in den Schlamm. Bei diesem Anblick
ließen mehrere Männer ihre Knüppel fallen und versuchten
davonzulaufen. Panik ergriff sie, und im nächsten Augenblick
wurden sie von allen Tieren rings im Hof herum gejagt. Man
spießte sie, trat sie, biß sie, trampelte auf sie. Da war kein Tier
auf der Farm, das sich nicht auf seine Art an ihnen rächte. Sogar
die Katze sprang plötzlich von einem Dach auf die Schultern
eines Kuhknechts und grub ihm die Krallen in den Hals, daß er
gellend aufheulte. Als der Ausgang gerade einen Moment
unbewacht blieb, waren die Männer nur zu froh, aus dem Hof
hinauszurennen - und sich zur Hauptstraße hin aus dem Staube
zu machen. Und so befanden sie sich ganze fünf Minuten nach
ihrem Eindringen auf dem schmählichen Rückzug über den
gleichen Weg, den sie gekommen waren, und eine Schar Gänse
zischte hinter ihnen her und hackte immerzu nach ihren Waden.
Alle Männer waren jetzt fort bis auf einen. Hinten im Hof
scharrte Boxer mit seinem Huf an dem Stallburschen, der mit
dem Gesicht im Schlamm lag, und versuchte ihn umzudrehen.
Der Junge regte sich nicht.
»Er ist tot«, sagte Boxer kummervoll. »Das habe ich nicht
gewollt. Ich hatte ganz vergessen, daß ich ja Hufeisen trage.
Wer wird mir glauben, daß ich das nicht absichtlich getan
habe?«
»Keine Sentimentalitäten, Genosse!« rief Schneeball, aus
dessen Wunden immer noch Blut tropfte. »Krieg ist Krieg. Nur
ein toter Mensch ist ein guter Mensch.«
»Ich mag niemandem das Leben nehmen, nicht einmal einem
Menschen«, wiederholte Boxer mit Tränen in den Augen.
»Wo ist Mollie?« rief plötzlich jemand.
Mollie fehlte tatsächlich. Für einen Augenblick herrschte
große Bestürzung; man befürchtete, die Menschen könnten ihr
vielleicht ein Leid angetan oder sie gar mit sich weggeschleppt
haben. Doch schließlich fand man sie in ihrem Stall, wo sie sich,
mit dem Kopf im Heu der Futterkrippe, versteckte. Sie war
gleich beim ersten Flintenknall geflohen. Und als die anderen
von ihrer Suche nach Mollie zurückkamen, da entdeckten sie,
daß der Stallbursche, der in Wahrheit nur betäubt gewesen war,
sich bereits erholt und auf und davon gemacht hatte.
Die Tiere hatten sich jetzt in heller Aufregung
wiederversammelt, und ein jedes zählte noch einmal so laut es
nur konnte seine eigenen Ruhmestaten in der Schlacht her. Man
hielt sogleich eine improvisierte Siegesfeier ab. Die Flagge
wurde aufgezogen und ›Tiere Englands‹ etliche Male
abgesungen, dann erhielt das Schaf, das gefallen war, ein
feierliches Begräbnis, und auf sein Grab pflanzte man einen
Weißdornbusch. Am Grab hielt Schneeball eine kleine
Ansprache, in der er die Notwendigkeit betonte, daß alle Tiere
nötigenfalls bereit sein müßten, für die Farm der Tiere zu
sterben.
Die Tiere beschlossen einstimmig, eine militärische
Auszeichnung zu schaffen, ›Tierheld erster Klasse‹, die an Ort
und Stelle Schneeball und Boxer verliehen wurde. Sie bestand
aus einer Messingmedaille (eigentlich waren es irgendwelche
alten Pferdespangen, die sich in der Geschirrkammer gefunden
hatten), die an Sonn- und Feiertagen zu tragen war. Es gab auch
den ›Tierheld zweiter Klasse‹, dieser wurde dem toten Schaf
posthum verliehen.
Man diskutierte des langen und breiten darüber, wie die
Schlacht genannt werden sollte. Zuguterletzt bekam sie den
Namen die ›Schlacht am Kuhstall‹, weil dort der Hinterhalt
gelegt worden war. MisterJones' Flinte hatte man im Schlamm
gefunden, und es war bekannt, daß im Farmhaus ein
Munitionsvorrat lag. Man beschloß, die Flinte am Fuß des
Fahnenmastes wie ein Geschütz aufzustellen und zweimal im
Jahr abzufeuern - einmal am zwölften Oktober, dem Jahrestag
der Schlacht am Kuhstall, und einmal am Johannistag, dem
Jahrestag der Rebellion.

Je näher der Winter rückte, desto beschwerlicher wurde es mit
Mollie. Sie erschien jeden Morgen zu spät zur Arbeit und
entschuldigte sich damit, verschlafen zu haben; desgleichen
klagte sie über mysteriöse Schmerzen, obwohl ihr Appetit
ausgezeichnet war. Sie lief unter jedem nur erdenklichen
Vorwand von der Arbeit weg und ging zur Tränke, wo sie dann
ganz närrisch stand und ihr eigenes Spiegelbild im Wasser
betrachtete. Doch es gab auch noch bedenklichere Gerüchte über
sie. Als Mollie eines Tages vergnügt auf den Hof geschlendert
kam, kokett den langen Schweif hin und her schwang und auf
einem Strohhalm kaute, nahm Kleeblatt sie beiseite.
»Mollie«, sagte sie, »ich habe dir etwas sehr Ernstes zu sagen.
Heute morgen habe ich gesehen, wie du über die Hecke
geschaut hast, die die Farm der Tiere von Fuchswald trennt.
Einer von Mister Pilkingtons Leuten stand auf der anderen Seite
der Hecke. Und - ich war zwar ziemlich weit weg, doch ich bin
mir fast sicher, es gesehen zu haben - er sprach mit dir, und du
hast ihm sogar erlaubt, dir die Nase zu streicheln. Was hat das
zu bedeuten, Mollie?«
»Hat er nicht! Hab ich nicht! Stimmt überhaupt nicht!« rief
Mollie, bäumte sich auf und scharrte auf dem Boden.
»Mollie! Sieh mir ins Gesicht. Gibst du mir dein Ehrenwort
darauf, daß dir der Mann nicht die Nase gestreichelt hat?«
»Stimmt überhaupt nicht!« wiederholte Mollie, doch sie
konnte Kleeblatt nicht ins Gesicht sehen, und im nächsten
Augenblick gab sie Fersengeld und galoppierte aufs Feld davon.
Kleeblatt hatte einen blitzartigen Einfall. Ohne den anderen
etwas zu sagen, ging sie zu Mollies Box und stöberte mit ihrem
Huf im Stroh. Unter dem Stroh verborgen lagen ein kleines
Häufchen Würfelzucker und etliche Bündel verschiedenfarbiger
Bänder.
Drei Tage später verschwand Mollie. Einige Wochen lang
wußte man nichts über ihren Verbleib, dann berichteten die
Tauben, sie hätten sie auf der anderen Seite von Willingdon
gesehen. Sie stand zwischen den Deichseln eines eleganten, rot
und schwarz gestrichenen Dogcarts, der vor einem Wirtshaus
hielt. Ein fetter, rotgesichtiger Mann in karierten
Knickerbockern und Gamaschen, der wie ein Schankwirt
aussah, streichelte ihr die Nase und fütterte sie mit Zucker. Ihr
Fell war frisch geschoren, und um die Stirnlocke trug sie ein
hellrotes Band. Sie schien sich wohl zu fühlen, so sagten die
Tauben. Keines der Tiere erwähnte jemals wieder Mollies
Namen.
Der Januar brachte bitterkaltes Wetter. Die Erde war wie aus
Eisen, und auf den Feldern konnte nichts getan werden. Es
wurden zahlreiche Versammlungen in der großen Scheune
abgehalten, und die Schweine beschäftigten sich damit, den
Arbeitsplan für die kommende Saison zu erstellen. Es hatte die
allgemeine Billigung gefunden, daß den Schweinen, die deutlich
klüger waren als die anderen Tiere, die Entscheidung in allen
Fragen der Farmpolitik anstand, wiewohl ihre Entscheidungen
durch einen Mehrheitsbeschluß ratifiziert werden mußten. Diese
Einrichtung würde auch gut funktioniert haben, hätte es nicht
die Dispute zwischen Schneeball und Napoleon gegeben. Die
beiden waren überall uneins, wo nur Uneinigkeit herrschen
konnte. Machte der eine von ihnen den Vorschlag, auf einer
größeren Anbaufläche Gerste zu säen, forderte der andere mit
Sicherheit eine größere Anbaufläche für Hafer, und sagte einer
von ihnen, daß dieses oder jenes Feld genau richtig für Kohl sei,
erklärte der andere, daß es einzig und allein für Rüben tauge.
Jeder hatte seine eigene Gefolgschaft, und es gab mehrere
heftige Debatten. Bei den Treffen gewann Schneeball durch
seine brillanten Reden oft die Mehrheit, doch Napoleon war
geschickter darin, zwischenzeitlich für Unterstützung zu
werben. Bei den Schafen war er besonders erfolgreich. Die
Schafe hatten es sich in letzter Zeit angewöhnt, zu jeder
passenden und unpassenden Gelegenheit »Vierbeiner gut,
Zweibeiner schlecht« zu blöken, und damit unterbrachen sie oft
das Treffen. Es fiel auf, daß sie gerade bei entscheidenden
Stellen von Schneeballs Reden gern ihr »Vierbeiner gut,
Zweibeiner schlecht« anstimmten. Schneeball hatte einige alte
Nummern von »Landwirtschaft und Viehzucht«, die sich im
Farmhaus fanden, intensiv studiert und steckte voller
Neuerungs- und Verbesserungspläne. Er sprach gelehrt über
Felderentwässerung, Silage und Thomasschlacke und hatte
einen komplizierten Plan entworfen, demzufolge alle Tiere ihren
Dung direkt auf den Feldern fallen lassen sollten, und zwar
jeden Tag an einer anderen Stelle, um den Aufwand des
Transports zu sparen. Napoleon legte keine eigenen Pläne vor,
sondern meinte nur seelenruhig, daß die von Schneeball zu
nichts führen würden, und schien im übrigen den rechten
Augenblick abzuwarten. Doch von all ihren Kontroversen wurde
keine so erbittert geführt wie die über die Windmühle.
Auf dem langen Weidestreifen, unweit der Farmgebäude, gab
es eine kleine Hügelkuppe, die den höchsten Punkt der Farm
bildete. Nach eingehender Prüfung des Terrains erklärte
Schneeball, dies sei genau der richtige Fleck für eine
Windmühle, durch die sich ein Dynamo antreiben und die Farm
mit Elektrizität versorgen lasse. Damit könnte man die Ställe
beleuchten und im Winter heizen und ferner eine Kreissäge, eine
Häckselmaschine, einen Mangoldschneider und eine elektrische
Melkanlage betreiben. Die Tiere hatten von dergleichen noch
nie gehört (denn die Farm war altmodisch und nur mit den
allerprimitivsten Maschinen ausgerüstet), und sie lauschten voll
Staunen, während Schneeball die Bilder phantastischer
Maschinen heraufbeschwor, die ihnen die Arbeit abnehmen
würden, dieweil sie selbst gemächlich auf den Wiesen grasten
oder durch Lektüre und Gespräch ihren geistigen Horizont
erweiterten.
Binnen weniger Wochen waren Schneeballs Pläne für die
Windmühle komplett ausgearbeitet. Die die Mechanik
betreffenden Details entstammten zumeist drei Büchern, die Mister
Jones gehört hatten - Tausend taugliche Tips für Haus und Hof,
Jedermann sein eigener Maurer und Elektrizität für Anfänger.
Als Arbeitszimmer benutzte Schneeball einen Schuppen, der
früher einmal eine Brutanlage beherbergt hatte und der einen
glatten Holzboden besaß, auf dem man gut zeichnen konnte.
Dort schloß er sich manchmal stundenlang ein. Die Bücher von
einem Stein offengehalten und ein Stück Kreide zwischen die
Knöchel seiner Schweinshaxe geklemmt, so lief er rasch hin und
her, zeichnete Linie um Linie hin und gab leise, aufgeregte
Quiekser von sich. Allmählich wuchsen sich die Pläne zu einer
komplizierten Ansammlung von Kurbeln und Zahnrädern aus,
die mehr als die Hälfte des Fußbodens bedeckte und die die
anderen Tiere absolut unverständlich, aber sehr beeindruckend
fanden. Sie kamen alle mindestens einmal am Tag, um
Schneeballs Zeichnungen zu besichtigen. Sogar die Hühner und
Enten kamen und gaben sich alle Mühe, nicht auf die
Kreidestriche zu treten. Nur Napoleon hielt sich abseits. Er hatte
sich von Anfang an gegen die Windmühle ausgesprochen. Eines
Tages jedoch tauchte er unvermutet auf, um die Pläne zu
inspizieren. Schweren Schritts drehte er eine Runde im
Schuppen, besah sich genau jedes Detail der Pläne und
beschnüffelte sie ein- oder zweimal, blieb dann ein Weilchen
stehen und betrachtete sie aus den Augenwinkeln; dann hob er
plötzlich das Bein, schlug sein Wasser über den Plänen ab und
ging ohne ein Wort zu verlieren hinaus.
Die ganze Farm war über das Thema Windmühle tief
gespalten. Schneeball bestritt nicht, daß ihr Bau Schwierigkeiten
bereiten würde. Steine mußten gebrochen und zu Mauern
hochgezogen werden, dann galt es die Segel anzufertigen, und
anschließend brauchte man Dynamos und Kabel. (Wie diese
beschafft werden sollten, sagte Schneeball nicht.) Doch er blieb
dabei, daß alles in einem Jahr zu schaffen sei. Und danach,
erklärte er, werde man sich soviel Arbeit ersparen, daß die Tiere
nur noch drei Tage in der Woche arbeiten müßten. Napoleon
dagegen argumentierte, das dringendste Gebot der Stunde laute,
die Futterproduktion zu steigern, und daß sie alle Hungers
sterben würden, falls sie ihre Zeit mit der Windmühle
verschwendeten. Die Tiere bildeten zwei Fraktionen unter den
Wahlparolen: »Stimmt für Schneeball und die Drei-Tage-
Woche« und »Stimmt für Napoleon und die volle Krippe«.
Benjamin war das einzige Tier, das sich keiner Fraktion
zugesellte. Er wollte weder glauben, daß das Futter mehr
werden, noch daß die Windmühle Arbeit ersparen würde.
Windmühle hin, Windmühle her, sagte er, das Leben würde
immer so weitergehen wie bisher - nämlich schlecht.
Neben den Disputen über die Windmühle gab es noch die
Frage der Verteidigung der Farm. Man war sich völlig im klaren
darüber, daß die Menschen, obwohl sie in der Schlacht am
Kuhstall besiegt worden waren, einen neuerlichen und
entschlosseneren Versuch zur Rückeroberung der Farm und
Wiedereinsetzung von Mister Jones unternehmen könnten. Dazu
hatten sie um so mehr Grund, als sich die Kunde von ihrer
Niederlage auf dem Land verbreitet hatte und die Tiere auf den
Nachbarfarmen bockiger denn je machte. Wie üblich waren
Schneeball und Napoleon uneins. Nach Napoleons Ansicht
mußten sich die Tiere Schußwaffen besorgen und sich in deren
Gebrauch üben. Nach Schneeballs Ansicht mußten sie
zunehmend mehr Tauben aussenden und unter den Tieren der
anderen Farmen die Rebellion schüren. Der eine argumentierte,
wenn sie sich nicht verteidigen könnten, sei ihnen die
Unterwerfung gewiß; der andere argumentierte, wenn es überall
zu Rebellionen komme, bestünde für sie keine Notwendigkeit
mehr, sich verteidigen zu müssen. Die Tiere lauschten erst
Napoleon, dann Schneeball und konnten sich nicht entscheiden,
wer recht hatte; eigentlich fand immer der ihre Zustimmung, der
gerade das Wort hatte.
Schließlich kam der Tag, da Schneeballs Pläne fertiggestellt
waren. Bei dem Treffen am darauffolgenden Sonntag sollte die
Frage zur Abstimmung gelangen, ob mit der Arbeit an der
Windmühle begonnen werden sollte oder nicht. Als die Tiere in
der großen Scheune zusammengekommen waren, erhob sich
Schneeball und legte, obwohl er dabei ab und zu vom Blöken
der Schafe unterbrochen wurde, die Gründe dar, weswegen er
den Bau der Windmühle befürworte. Dann erhob sich Napoleon
zur Erwiderung. Er sagte ganz ruhig, die Windmühle sei
Quatsch, und er rate es keinem, dafür zu stimmen, dann setzte er
sich prompt wieder hin; er hatte kaum dreißig Sekunden
gesprochen, und die Wirkung, die er hervorrief, schien ihm
beinahe egal zu sein. Darauf sprang Schneeball auf, brüllte die
Schafe nieder, die wieder zu blöken begonnen hatten, und brach
in einen leidenschaftlichen Appell zugunsten der Windmühle
aus. Bisher waren die Sympathien der Tiere in etwa gleich
verteilt gewesen, doch im Nu hatte sie Schneeballs
Beredtsamkeit jetzt fortgerissen. In glühenden Sätzen malte er
ein Bild der Farm der Tiere, so wie sie sein könnte, wenn die
Tiere von der Last der niedrigen Arbeit befreit wären. Seine
Vorstellung war jetzt weit über Häckselmaschinen und
Rübenschneider hinausgegangen.
Elektrizität, sagte er, könne Dreschmaschinen antreiben,
Pflüge, Eggen, Walzen und Mähmaschinen und Garbenbinder
und außerdem jeden Stall mit elektrischem Licht, mit warmem
und kaltem Wasser und einem Elektroheizofen versorgen. Als er
geendet hatte, bestand kein Zweifel daran, wie die Abstimmung
ausgehen würde. Doch just in diesem Moment erhob sich
Napoleon, bedachte Schneeball mit einem eigentümlichen
Seitenblick und stieß ein hohes Quieken aus, wie es noch
niemand von ihm gehört hatte.
Hierauf erscholl draußen ein wütendes Gebell, und neun
riesige Hunde mit messingbeschlagenen Halsbändern setzten
mit weiten Sprüngen in die Scheune. Sie schossen geradewegs
auf Schneeball los, der eben noch rechtzeitig von seinem Platz
hochfahren konnte, um ihren zuschnappenden Kiefern zu
entgehen. Im nächsten Moment war er zum Tor hinaus, und die
Meute hinter ihm her. Zu verblüfft und erschrocken, um etwas
zu sagen, drängten sich die Tiere alle durchs Tor, um die Hatz
mitzuverfolgen. Schneeball raste über die lange Weide, die zur
Straße führte. Er rannte, wie nur ein Schwein rennen kann, doch
die Hunde blieben ihm dicht auf den Fersen. Plötzlich rutschte
er aus, und es schien schon sicher, daß sie ihn hatten. Dann war
er wieder auf den Beinen und rannte schneller denn je, dann
wieder holten ihn die Hunde ein. Um ein Haar packten die
Kiefer des einen Schneeballs Ringelschwanz, doch Schneeball
konnte ihn gerade noch wegziehen. Dann legte er noch einen
Zahn zu, witschte mit knapper Not durch ein Loch in der Hecke
und ward nicht mehr gesehen.
Stumm und verschreckt schlichen die Tiere in die Scheune
zurück. Im nächsten Moment kamen auch die Hunde mit weiten
Sprüngen angesetzt. Anfangs hatte sich keiner vorstellen
können, woher diese Geschöpfe eigentlich stammten, doch diese
Frage wurde bald geklärt: es waren die neun Welpen, die
Napoleon ihren Müttern weggenommen und heimlich
aufgezogen hatte. Obwohl sie noch nicht ganz ausgewachsen
waren, waren sie doch schon mächtige Hunde und blickten so
wild wie Wölfe drein. Sie hielten sich dicht bei Napoleon. Es
fiel auf, daß sie vor ihm genau so mit dem Schwanz wedelten,
wie es die anderen Hunde vor Mister Jones getan hatten.
Napoleon bestieg jetzt, mit den Hunden im Gefolge, jenen
erhöhten Teil des Fußbodens, von dem aus Major einst seine
Rede an die Tiere gehalten hatte. Er verkündete, daß von nun ab
Schluß sei mit den Sonntagvormittag-Treffen. Sie seien unnütz,
sagte er, und schiere Zeitverschwendung. In Zukunft würden
alle Fragen, die den Farmbetrieb anlangten, von einem
Schweine-Sonderkomitee geregelt werden, dem er persönlich
vorzusitzen gedenke. Sie würden geheim tagen und ihre
Entschließungen anschließend den übrigen mitteilen. Die Tiere
würden sich weiterhin Sonntag morgens zum Flaggengruß, zum
Absingen von »Tiere Englands« und zur Entgegennahme ihrer
Wochenbefehle versammeln; aber Debatten werde es nicht mehr
geben.
Trotz des Schocks, den ihnen Schneeballs Vertreibung
versetzt hatte, waren die Tiere über diese Ankündigung bestürzt.
Etliche von ihnen würden protestiert haben, hätten sie die
richtigen Argumente finden können. Sogar Boxer war irgendwie
beunruhigt. Er legte die Ohren an, schüttelte mehrmals die
Stirnlocke und bemühte sich heftig, seine Gedanken zu ordnen;
doch zuguterletzt fiel ihm überhaupt nichts zu sagen ein. Unter
den Schweinen selbst jedoch waren einige, die deutlicher
wurden. Vier junge Mastferkel in der vordersten Reihe stießen
schrille Mißbilligungsquieker aus, und alle vier sprangen auf
und begannen gleichzeitig zu reden.
Doch plötzlich ließen die Hunde, die sich um Napoleon
geschart hatten, ein tiefes, drohendes Knurren hören, und die
Schweine verstummten und setzten sich wieder. Dann brachen
die Schafe in ein gewaltiges Blöken von »Vierbeiner gut,
Zweibeiner schlecht!« aus, das nahezu eine Viertelstunde
andauerte und jeder Möglichkeit einer Diskussion ein Ende
machte.
Nachher wurde Schwatzwutz auf der Farm herumgeschickt,
um den anderen die neuen Einrichtungen zu erklären.
»Genossen«, sagte er, »ich hoffe doch zuversichtlich, daß
jedes Tier hier das Opfer zu würdigen weiß, das Genosse
Napoleon bringt, indem er sich diese Extraarbeit aufbürdet.
Glaubt nicht, Genossen, daß Führerschaft ein Vergnügen ist! Im
Gegenteil, sie bedeutet eine tiefe und schwere Verantwortung.
Keiner glaubt unverbrüchlicher als Genosse Napoleon daran,
daß alle Tiere gleich sind. Er ließe euch nur allzugerne eure
eigenen Entscheidungen treffen. Doch manchmal könntet ihr die
falschen Entscheidungen treffen, Genossen, und wo kämen wir
da hin? Angenommen, ihr hättet beschlossen, Schneeball und
seinem Windmühlen-Gefasel zu folgen? Schneeball, der, wie
wir heute wissen, nichts anderes war als ein Verbrecher?
»In der Schlacht am Kuhstall hat er tapfer gekämpft«, sagte
jemand.
»Tapferkeit ist nicht genug«, sagte Schwatzwutz. »Loyalität
und Gehorsam sind wichtiger. Und was die Schlacht am
Kuhstall betrifft, so wird, meine ich, die Zeit kommen, wo wir
feststellen werden, daß Schneeballs Rolle dabei mächtig
übertrieben wurde. Disziplin, Genossen, eiserne Disziplin! Das
ist für heute die Parole. Ein falscher Schritt, und unsere Feinde
würden über uns herfallen. Genossen, ihr wollt doch bestimmt
nicht Jones wiederhaben?«
Abermals erwies sich dieses Argument als unschlagbar. Die
Tiere wollten Jones sicherlich nicht wiederhaben; wenn das
Abhalten von Debatten am Sonntagmorgen dazu angetan war,
ihn zurückzubringen, dann mußten diese Debatten eben
aufhören. Boxer, der inzwischen Zeit zum Überlegen gehabt
hatte, verlieh dem allgemeinen Gefühl mit den Worten
Ausdruck: »Wenn Genosse Napoleon es sagt, dann muß es
richtig sein.« Und von da an machte er sich die Maxime zu
eigen: »Napoleon hat immer recht«, ergänzend zu seinem
persönlichen Motto: »Ich will und werde noch härter arbeiten.«
Mittlerweile war das Wetter umgeschlagen, und das
Frühjahrspflügen hatte begonnen. Der Schuppen, in dem
Schneeball seine Pläne für die Windmühle gezeichnet hatte, war
zugesperrt worden, und man nahm an, daß die Pläne
fortgewischt worden seien. Jeden Sonntagmorgen um zehn Uhr
versammelten sich die Tiere in der großen Scheune, um die
Weisungen für die kommende Woche entgegenzunehmen. Der
Schädel Old Majors, der jetzt nur noch aus Knochen bestand,
war aus dem Obstgarten ausgegraben und auf einem Strunk am
Fuß des Fahnenmastes neben dem Gewehr postiert worden.
Nach Hissen der Flagge waren die Tiere angehalten, in
ehrerbietiger Weise an dem Schädel vorüberzuziehen, bevor sie
die Scheune betraten. Sie saßen nun auch nicht mehr alle
beieinander, so wie früher. Napoleon saß, nebst Schwatzwutz
und einem anderen Schwein, namens Minimus, das ein
bemerkenswertes Talent zum Verfassen von Liedern und
Gedichten hatte, vorne auf der erhöhten Plattform, die neun
Hunde bildeten einen Halbkreis um sie herum, und dahinter
saßen die anderen Schweine. Die übrigen Tiere saßen ihnen im
Hauptteil der Scheune gegenüber. Napoleon verlas die
Weisungen für die kommende Woche in einem barschen
Kasernenhofton, und nach einem einmaligen Absingen von
›Tiere Englands‹ zerstreuten sich alle Tiere.
Am dritten Sonntag nach Schneeballs Vertreibung vernahmen
die Tiere einigermaßen überrascht Napoleons Ankündigung, daß
die Windmühle nun doch gebaut werden sollte. Er führte
keinerlei Gründe für seinen Gesinnungswandel an, sondern
warnte die Tiere bloß eindringlich, daß diese Sonderaufgabe
sehr harte Arbeit bedeuten würde; es könnte sogar nötig werden,
die Rationen zu kürzen. Die Pläne indes seien bis ins letzte
Detail vorbereitet. Ein Schweine-Sonderkomitee habe die
vergangenen drei Wochen daran gearbeitet. Der Bau der
Windmühle, nebst verschiedenen anderen Verbesserungen,
werde mit zwei Jahren veranschlagt.
Am selben Abend erklärte Schwatzwutz den anderen Tieren
im Vertrauen, daß Napoleon in Wahrheit niemals gegen die
Windmühle gewesen wäre. Im Gegenteil, er sei es, der sie von
Anfang an befürwortet habe, und der Plan, den Schneeball auf
den Fußboden der Brutanlage gezeichnet hätte, sei in Wahrheit
aus Napoleons Papieren gestohlen worden. Die Windmühle sei
tatsächlich Napoleons ureigene Schöpfung gewesen. Warum,
fragte da jemand, habe er sich dann so heftig dagegen
ausgesprochen? Hier schaute Schwatzwutz ganz verschmitzt
drein. Das, sagte er, sei die Pfiffigkeit von Genosse Napoleon
gewesen. Er habe sich der Windmühle scheinbar widersetzt,
schlichtweg nur ein Manöver, um sich Schneeballs zu
entledigen, der ein gefährlicher Charakter und schlechter
Einfluß gewesen sei. Und nun, da Schneeball aus dem Weg
geräumt sei, könne der Plan ohne seine Einmischung
fortschreiten. Dies, sagte Schwatzwutz, sei etwas, das man
Taktik nenne. Er wiederholte mehrmals: »Taktik, Genossen,
Taktik!«, hopste dabei herum und wackelte mit einem fröhlichen
Lachen mit dem Schwanz. Die Tiere waren sich nicht schlüssig,
was das Wort bedeutete, aber Schwatzwutz sprach so
überzeugend, und die drei Hunde, die ihn gerade zufällig
begleiteten, knurrten so bedrohlich, daß sie seine Erklärung
ohne weitere Fragen akzeptierten.

Dieses ganze Jahr hindurch arbeiteten die Tiere wie Sklaven.
Doch sie waren glücklich bei ihrer Arbeit; sie scheuten keine
Mühen und Opfer, denn sie wußten genau, daß alles, was sie
taten, zu ihrem eigenen Nutzen geschah und zu dem ihrer
Artgenossen, die nach ihnen kommen würden, nicht aber zum
Nutzen einer Bande arbeitsscheuer, diebischer Menschen.
Den Frühling und Sommer über arbeiteten sie sechzig
Stunden in der Woche, und im August verkündete Napoleon,
daß auch Sonntag nachmittags gearbeitet werden würde. Diese
Arbeit war rein freiwillig, doch wurden jedem Tier, das ihr
fernblieb, die Rationen auf die Hälfte gekürzt. Dennoch erwies
es sich als unumgänglich, manche Arbeiten unverrichtet zu
lassen. Die Ernte fiel ein bißchen weniger erfolgreich aus als im
Vorjahr, und zwei Felder, auf denen im Frühsommer Rüben
hätten angebaut werden sollen, blieben unbestellt, weil man mit
dem Pflügen nicht rechtzeitig fertig geworden war. Es ließ sich
voraussehen, daß der kommende Winter hart werden würde.
Die Windmühle bereitete unerwartete Schwierigkeiten. Es gab
einen guten Kalksteinbruch auf der Farm, und in einem der
Nebengebäude hatte man reichlich Sand und Zement gefunden,
so daß alle Baumaterialien zur Hand waren. Doch das Problem,
das die Tiere anfangs nicht lösen konnten, lautete, wie man die
Steine in geeignet große Stücke brechen sollte. Dies schien nur
mit Spitzhacken und Brecheisen möglich, die aber kein Tier zu
gebrauchen vermochte, weil kein Tier auf den Hinterbeinen
stehen konnte. Erst nach Wochen vergeblicher Mühe hatte
jemand den richtigen Einfall - nämlich, sich der Schwerkraft zu
bedienen. Der Grund des Steinbruchs lag mit mächtigen
Blöcken übersät, die in ihrer jetzigen Form zu groß waren, um
verwendet werden zu können. Um diese Blöcke schlangen die
Tiere Seile und schleppten sie dann mit vereinten Kräften, Kühe,
Pferde, Schafe, jedes Tier, das das Seil festhalten konnte - sogar
die Schweine halfen manchmal in kritischen Augenblicken - mit
schrecklicher Langsamkeit den Abhang und bis zum höchsten
Punkt des Steinbruchs hinauf, wo die Blöcke über den Rand
gekippt wurden, damit sie unten in Stücke zerschellten. Der
Transport der zerbrochenen Steine gestaltete sich dann
vergleichsweise einfach. Die Pferde zogen sie karrenweise
davon, die Schafe zerrten einzelne Blöcke, und sogar Muriel und
Benjamin spannten sich vor ein altes Gouverna ntenwägelchen
und taten das ihre. Bis zum Spätsommer hatte man einen
hinreichenden Steinevorrat angehäuft, und dann begann, unter
der Oberaufsicht der Schweine, der Bau.
Doch es war ein langsamer, mühseliger Prozeß. Oft bedurfte
es der erschöpfenden Anstrengung eines ganzen Tages, um
einen einzigen Block bis zum höchsten Punkt des Steinbruchs
hinaufzuschleppen, und manchmal zerbrach er nicht, wenn er
über den Rand gestoßen wurde. Ohne Boxer wäre es überhaupt
nicht gegangen. Er schien so stark zu sein wie alle anderen Tiere
zusammen. Wenn der Block ins Rutschen kam und die Tiere
verzweifelt aufschrien, weil sie hügelabwärts geschleift wurden,
da war es stets Boxer, der sich in das Seil stemmte und den
Block zum Stillstand brachte. Ihm zuzusehen, wie er sich Zoll
für Zoll den Abhang hochplagte, mit jagendem Atem, die
Spitzen der Hufe in den Boden gekrallt und die mächtigen
Flanken von Schweiß bedeckt, flößte jedem Bewunderung ein.
Manchmal warnte ihn Kleeblatt davor, sich nicht zu
überanstrengen, doch Boxer wollte nichts davon hören. Seine
beiden Devisen: »Ich werde noch härter arbeiten« und
»Napoleon hat immer recht«, schienen ihm eine hinlängliche
Antwort auf alle Probleme zu sein. Er hatte mit dem Junghahn
vereinbart, daß dieser ihn morgens nun eine Dreiviertelstunde
früher wachkrähen sollte, statt wie bisher nur eine halbe. Und in
seinen freien Augenblicken, deren es jetzt nicht viele gab,
pflegte er allein zum Steinbruch zu gehen, eine Fuhre
Bruchsteine zu sammeln und sie ohne jede Unterstützung zur
Baustelle der Windmühle zu karren.
Trotz der harten Arbeit ging es den Tieren in diesem Sommer
nicht schlecht. Wenn sie auch nicht mehr Futter hatten als zu
Jones Zeiten, so hatten sie doch zumindest auch nicht weniger.
Der Vorteil, nur für sich selbst sorgen zu müssen und nicht
obendrein noch für fünf verschwenderische Menschen, war so
groß, daß es einer Menge von Fehlschlägen bedurft hätte, um
ihn aufzuwiegen. Und in vielerlei Hinsicht war die Methode der
Tiere, an Dinge heranzugehen, effektiver und sparte Arbeit.
Solche Aufgaben wie das Unkrautjäten, zum Beispiel, konnten
mit einer für Menschen unmöglichen Gründlichkeit erledigt
werden. Und da jetzt auch kein Tier etwas stahl, war es
gleichfalls unnötig, Weide und urbares Land voneinander
abzuzäunen, womit man sich eine Menge Instandhaltungsarbeiten an Hecken und Toren ersparte.
Nichtsdestoweniger machten sich mit dem Fortschreiten des
Sommers verschiedentliche, unvorhergesehene Verknappungen
bemerkbar. Man brauchte Paraffinöl, Nägel, Schnur,
Hundekuchen und Eisen zum Beschlagen der Pferdehufe, lauter
Dinge, die nicht auf der Farm produziert werden konnten. Später
würde man auch Saatgut und Kunstdünger brauchen, überdies
verschiedene Werkzeuge und endlich die Maschinerie für die
Windmühle. Wie all dies beschafft werden sollte, vermochte
sich keiner vorzustellen. Eines Sonntagmorgens, als die Tiere
zur Befehlsentgegennahme versammelt waren, verkündete
Napoleon, daß er sich nunmehr zu einer neuen Politik
entschlossen habe. Von jetzt an würde die Farm der Tiere in
Handelsbeziehungen zu den Nachbarfarmen treten: natürlich
nicht aus kommerziellen Bestrebungen heraus, sondern schlicht,
um bestimmte Materialien zu beschaffen, die benötigt wurden.
Die Erfordernisse der Windmühle müßten vor allem anderen
Vorrang haben, sagte er. Er träfe deswegen Anstalten, einen
Schober Heu und einen Teil der diesjährigen Weizenernte zu
verkaufen, und würde später noch mehr Geld gebraucht werden,
so müsse dies durch den Verkauf von Eiern aufgebracht werden,
für die in Willingdon immer ein Markt bestünde. Die Hennen,
sagte Napoleon, sollten dieses Opfer als ihren besonderen
Beitrag zum Bau der Windmühle begrüßen.
Abermals verspürten die Tiere ein leises Unbehagen. Niemals
etwas mit Menschen zu tun zu haben, niemals Handel zu
treiben, niemals Geld zu gebrauchen - hatte dies nicht mit zu
den frühesten Resolutionen gehört, die man bei jenem ersten
glorreichen Treffen faßte, nachdem Jones vertrieben worden
war? Alle Tiere erinnerten sich, derartige Resolutionen gefaßt zu
haben: oder zumindest glaubten sie sich daran zu erinnern. Die
vier jungen Schweine, die protestiert hatten, als Napoleon die
Treffen abschaffte, erhoben zaghaft ihre Stimmen, doch ein
furchtbares Knurren der Hunde ließ sie sogleich wieder
verstummen. Dann blökten die Schafe wie üblich ihr
»Vierbeiner gut, Zweibeiner schlecht!«, und die kurze
Peinlichkeit wurde bemäntelt. Schließlich hob Napoleon
ruhegebietend die Haxe und verkündete, er habe bereits alle
nötigen Anstalten getroffen. Keins der Tiere würde mit
Menschen in Berührung kommen müssen, was eindeutig höchst
unerwünscht sei. Er beabsichtige, die ganze Last auf seine
eigenen Schultern zu nehmen. Ein gewisser Mister Whymper, ein
in Willingdon ansässiger Rechtsanwalt, habe eingewilligt, als
Vermittler zwischen der Farm der Tiere und der Außenwelt zu
agieren, und würde jeden Montagmorgen die Farm besuchen,
um seine Instruktionen zu empfangen. Napoleon schloß seine
Rede mit dem üblichen Ruf »Lang lebe die Farm der Tiere!«,
und nach dem Absingen von ›Tiere Englands‹ waren die Tiere
entlassen.
Nachher drehte Schwatzwutz eine Runde durch die Farm und
beschwichtigte die Gemüter. Er versicherte ihnen, daß die
Resolution gegen Handel und gegen den Gebrauch von Geld
niemals gefaßt, ja nicht einmal eingebracht worden war. Es sei
die pure Einbildung und wahrscheinlich von allem Anfang an
auf Lügen zurückzuführen, die Schneeball in Umlauf gesetzt
habe. Einige wenige Tiere hegten noch immer leise Zweifel,
doch Schwatzwutz fragte sie listig: »Seid ihr auch sicher,
Genossen, daß ihr das nicht bloß geträumt habt? Habt ihr
irgendeinen Beweis für eine derartige Resolution?
Steht sie irgendwo geschrieben?« Und da es zweifelsfrei der
Wahrheit entsprach, daß nichts dergleichen schriftlich
aufgezeichnet stand, waren die Tiere überzeugt, daß sie sich
geirrt hatten.
Jeden Montag besuchte Mister Whymper, wie vereinbart, die
Farm. Er war ein verschlagen aussehender kleiner Mann mit
einem Backenbart, ein Schmalspuradvokat, doch gerissen
genug, um vor allen anderen begriffen zu haben, daß die Farm
der Tiere einen Makler brauchen würde und die Provisionen
lohnend wären. Die Tiere verfolgten sein Kommen und Gehen
mit unbestimmter Furcht, und sie gingen ihm so viel als möglich
aus dem Weg. Nichtsdestoweniger schwoll ihnen die Brust beim
Anblick, wie Napoleon auf allen vieren Whymper, der auf zwei
Beinen stand, Anordnungen erteilte, und dies söhnte sie zum
Teil mit der neuen Einrichtung aus.
Ihre Beziehungen zur menschlichen Rasse waren nun nicht
mehr ganz die alten. Die Menschen haßten die Farm der Tiere
jetzt, wo sie prosperierte, nicht weniger; eigentlich haßten sie sie
mehr denn je. Jedem Menschen galt es als Glaubensartikel, daß
die Farm früher oder später bankrott gehen und sich
insbesondere die Windmühle als Fehlschlag erweisen werde. Sie
setzten sich in den Wirtshäusern zusammen und bewiesen
einander mit Hilfe von Diagrammen, daß die Windmühle ganz
einfach einstürzen mußte oder daß sie, falls sie doch stehenblieb,
nie und nimmer funktionieren werde. Und doch hatte sich in
ihnen, gegen ihren Willen, ein gewisser Respekt vor der
Tüchtigkeit entwickelt, mit der die Tiere ihre Angelegenheiten
selbst regelten. Ein Symptom dafür war, daß sie begonnen
hatten, die Farm der Tiere bei ihrem richtigen Namen zu nennen
und nicht mehr so taten, als hieße sie noch immer die »Herren-
Farm«. Sie hatten auch ihre Unterstützung für Jones
fallengelassen, der die Hoffnung, seine Farm zurückzubekommen, aufgegeben hatte und in einen anderen
Landesteil gezogen war. Außer durch Whymper gab es bisher
keinen Kontakt zwischen der Farm der Tiere und der Umwelt,
doch es hielten sich beständige Gerüchte, Napoleon stehe im
Begriff, entweder mit Mister Pilkington von Fuchswald oder aber
mit Mister Frederick von Knickerfeld ein endgültiges
Geschäftsabkommen einzugehen - doch niemals, wie man
feststellte, mit beiden gleichzeitig. Ungefähr um diese Zeit
geschah es, daß die Schweine plötzlich ins Farmhaus umzogen
und dort ihre Residenz aufschlugen. Abermals glaubten sich die
Tiere daran zu erinnern, daß in den Anfangstagen eine
Resolution dagegen gefaßt worden war, und abermals gelang es
Schwatzwutz, sie davon zu überzeugen, daß das nicht stimmte.
Es sei absolut nötig, sagte er, daß die Schweine, die ja das
Gehirn der Farm wären, einen ruhigen Arbeitsplatz hätten. Es
stünde auch besser der Würde des Führers an (denn in letzter
Zeit hatte er begonnen, Napoleon als ›Führer‹ zu titulieren), in
einem Haus zu wohnen, statt in einem bloßen Koben. Dennoch
waren einige der Tiere verwirrt, als sie hörten, daß die Schweine
nicht nur ihre Mahlzeiten in der Küche einnahmen und das
Wohnzimmer als Freizeitraum benutzten, sondern auch in den
Betten schliefen. Boxer tat es wie üblich ab mit seinem
»Napoleon hat immer recht«, doch Kleeblatt, die sich an einen
ausdrücklichen Erlaß gegen Betten zu erinnern glaubte, lief zum
Ende der Scheune und versuchte, die Sieben Gebote zu
enträtseln, die dort angeschrieben standen. Als sie merkte, daß
sie nur einzelne Buchstaben lesen konnte, holte sie Muriel zu
Hilfe.
»Muriel«, sagte sie, »lies mir einmal das Vierte Gebot vor.
Steht da nicht irgend etwas davon, daß man niemals in einem
Bett schlafen soll?«
Muriel buchstabierte es mit einiger Mühe vor sich hin.
»Da steht: ›Kein Tier soll in einem Bett schlafen mit
Leintüchern«, verkündete sie schließlich.
Kleeblatt hatte sich sonderbarerweise nicht daran erinnert, daß
im Vierten Gebot von Leintüchern die Rede war. Und
Schwatzwutz, der gerade wie von ungefähr, in Begleitung von
zwei oder drei Hunden, vorbeikam, konnte die ganze Sache ins
rechte Licht rücken.
»Ihr habt also schon gehört, Genossen«, sagte er, »daß wir
Schweine jetzt in den Betten im Farmhaus schlafen? Und warum
auch nicht? Ihr habt doch nicht etwa angenommen, daß es
jemals einen Erlaß gegen Betten gegeben hat? Ein Bett bedeutet
lediglich einen Schlafplatz. Ein Strohhaufen im Stall ist, richtig
besehen, ein Bett. Der Erlaß richtete sich gegen Leintücher, die
ja eine Erfindung des Menschen sind. Wir haben die Leintücher
von den Betten im Farmhaus entfernt und schlafen zwischen
Decken. Und es sind äußerst bequeme Betten! Aber auch nicht
bequemer, als es für uns nötig ist, das laßt euch gesagt sein,
Genossen, in Anbetracht all der geistigen Arbeit, die wir derzeit
leisten müssen. Ihr wollt uns doch nicht unserer Ruhe berauben,
oder, Genossen? Ihr wollt doch nicht, daß wir zu müde sind, um
unseren Pflichten nachzukommen? Es wünscht sich doch
bestimmt keiner von euch Jones zurück?«
Die Tiere versicherten ihn in diesem Punkt sogleich, und
davon, daß die Schweine in den Betten im Farmhaus schliefen,
war keine Rede mehr. Und als einige Tage später verkündet
wurde, daß die Schweine von nun an eine Stunde später
aufstehen würden als die anderen Tiere, da gab es auch darüber
keine Beschwerden.
Im Herbst waren die Tiere wohl müde aber glücklich. Hinter
ihnen lag ein hartes Jahr, und nach dem Verkauf eines Teils des
Heus und Korns waren die Futtervorräte für den Winter nicht
allzu reichlich, doch die Windmühle entschädigte sie für alles.
Sie war jetzt fast halbfertig. Auf die Ernte folgte eine trockene
Schönwetterperiode, und die Tiere schufteten härter denn je,
weil sie es der Mühe wert fanden, sich den lieben langen Tag
mit dem Schleppen der Steinblöcke abzuplacken, wenn sie
dadurch die Mauern noch einen Fuß hochziehen konnten. Boxer
kam sogar nachts heraus, um eine oder zwei Stunden allein im
Licht des herbstlichen Vollmonds zu arbeiten. In ihrer freien
Zeit gingen die Tiere rings um den halbfertigen Bau herum und
bewunderten die Stärke und Senkrechtheit der Mauern und
staunten darüber, daß sie es tatsächlich geschafft haben sollten,
etwas so Imposantes zu bauen. Nur der alte Benjamin mochte
sich für die Windmühle nicht begeistern, wenngleich er, wie
üblich, nichts weiter als die rätselhafte Bemerkung von sich gab,
daß Esel ein langes Leben hätten.
Der November kündigte sich mit tobenden Südwestwinden
an. Die Bauarbeiten mußten eingestellt werden, weil es zum
Anmischen des Zements jetzt zu naß war. Schließlich kam eine
Nacht, in der der Sturm so heftig wütete, daß die Farmgebäude
in ihren Fundamenten schwankten und etliche Schindeln vom
Dach der Scheune herabgeblasen wurden. Die Hühner
erwachten kreischend vor Entsetzen, denn sie hatten alle
gleichzeitig geträumt, daß sie in der Ferne ein Gewehr hätten
losgehen hören. Am Morgen kamen die Tiere aus ihren Ställen
und mußten feststellen, daß der Fahnenmast umgeweht und eine
Ulme am Fuß des Obstgartens wie ein Rettich ausgerissen
worden war. Kaum hatten sie dies bemerkt, da entrang sich jeder
Tierkehle ein Schrei der Verzweiflung. Ein entsetzlicher
Anblick bot sich ihren Augen. Die Windmühle lag in
Trümmern.
Einhellig stürzten sie zur Unglücksstätte. Napoleon, der sonst
nur selten aus dem Schrittempo herausfand, raste allen voran. Ja,
da lag sie, die Frucht all ihrer Mühen, dem Erdboden
gleichgemacht, die Steine, die sie so mühselig gebrochen und
herangeschleppt hatten, ringsum verstreut. Zuerst versagten
ihnen die Worte, und sie standen da und starrten traurig auf das
Durcheinander von zerschlagenen Steinen. Napoleon lief
schweigend auf und ab und beschnüffelte hin und wieder den
Boden. Sein Ringelschwanz hatte sich versteift und peitschte
heftig hin und her, ein Zeichen intensiven Nachdenkens bei ihm.
Plötzlich blieb er stehen, so als sei er zu einem Schluß gelangt.
»Genossen«, sagte er ruhig, »wißt ihr, wer hierfür
verantwortlich ist? Kennt ihr den Feind, der bei Nacht
eingedrungen ist und unsere Windmühle zerstört hat?
SCHNEEBALL!« brüllte er plötzlich mit Donnerstimme.
»Schneeball hat dies getan! Aus purer Bosheit, um uns in
unserem Vorhaben zu hindern, und um sich für seine
schmähliche Vertreibung zu rächen, deswegen hat sich dieser
Verräter im Schütze der Nacht hierhergeschlichen und das Werk
von fast einem Jahr zerstört. Genossen, ich verhänge an Ort und
Stelle das Todesurteil über Schneeball. Den ›Tierheld zweiter
Klasse‹ und einen halben Scheffel Äpfel jedem, der ihm den
Prozeß macht. Und einen ganzen Scheffel jedem, der ihn lebend
fängt!«
Es schockierte die Tiere über alle Maßen, erfahren zu müssen,
daß gerade Schneeball einer solchen Tat fähig sein konnte. Es
gab einen Aufschrei der Empörung, und jeder begann auf
Möglichkeiten zu sinnen, wie man Schneeballs habhaft werden
könne, sollte er jemals zurückkommen. Unmittelbar darauf
entdeckte man, unweit des Hügels, im Gras die Fußspuren eines
Schweins. Sie ließen sich nur wenige Meter weit verfolgen,
schienen aber zu einem Loch in der Hecke zu führen. Napoleon
beschnüffelte sie ausgiebig und erklärte sie dann zu Schneeballs
Spuren. Er vertrat die Ansicht, daß Schneeball wahrscheinlich
aus der Richtung der Fuchswaldfarm gekommen war.
»Keine Verzögerung mehr, Genossen!« sagte Napoleon,
nachdem die Fußspuren untersucht worden waren. »Es gibt
Arbeit. Noch diesen Morgen beginnen wir mit dem
Wiederaufbau der Windmühle, und wir werden den ganzen
Winter hindurch daran bauen, bei Regen und Sonne. Wir werden
diesen elenden Verräter lehren, daß er unser Werk nicht so leicht
zunichte machen kann. Vergeßt nicht, Genossen, unsere Pläne
dürfen keine Änderung erfahren; sie sollen auf den Tag
pünktlich ausgeführt sein. Vorwärts, Genossen! Lang lebe die
Windmühle! Lang lebe die Farm der Tiere!«

Es war ein harter Winter. Dem stürmischen Wetter folgten
Graupel und Schnee, und dann ein bitterer Frost, der erst spät im
Februar brach. Die Tiere arbeiteten nach besten Kräften am
Wiederaufbau der Windmühle, denn sie wußten sehr wohl daß
die Umwelt sie beobachtete und daß die neidischen Menschen
jubilieren und triumphieren würden, wenn die Mühle nicht zur
Zeit fertig wäre.
Aus Gehässigkeit behaupteten die Menschen, nicht daran zu
glauben, daß es Schneeball gewesen sei, der die Windmühle
zerstört habe: sie sagten, sie sei eingestürzt, weil die Mauern zu
dünn gewesen wären. Die Tiere wußten, daß das nicht stimmte.
Dennoch hatte man beschlossen, die Mauern statt der früheren
achtzehn Zoll diesmal drei Fuß dick zu bauen, und dies
bedeutete, daß noch weit größere Mengen von Steinen
herangeschafft werden mußten. Lange Zeit lag der Steinbruch
unter Schneewehen, und es ließ sich nichts unternehmen.
Während des folgenden trocken- frostigen Wetters ging es etwas
voran, doch die Arbeit war grausam, und die Tiere waren nicht
mehr so hoffnungsvoll wie vordem. Nur Boxer und Kleeblatt
ließen den Mut nie sinken. Schwatzwutz hielt exzellente Reden
über die Freude des Dienens und die Würde der Arbeit, doch die
anderen Tiere erfuhren mehr Ermutigung durch Boxers Kraft
und seinen nie verzagenden Ruf: »Ich will und werde noch
härter arbeiten!«
Im Januar wurde das Futter knapp. Die Körnerration wurde
drastisch gekürzt, und man kündigte an, daß zum Ausgleich
dafür eine Extraration Kartoffeln ausgegeben werden würde.
Dann entdeckte man, daß der größte Teil der Kartoffelernte in
den Mieten erfroren war, die man nicht dick genug abgedeckt
hatte. Die Kartoffeln waren weich und fleckig geworden, und
nur wenige blieben noch genießbar. Die Tiere hatten manchmal
tagelang nichts anderes zu essen als Häcksel und Rüben. Sie
schienen dem Hungertod preisgegeben.
Es war lebenswichtig, diese Tatsache vor der Umwelt zu
verbergen. Durch den Einsturz der Windmühle erkeckt,
ersannen die Menschen neue Lügen über die Farm der Tiere.
Abermals wurde ausgestreut, daß die Tiere an Hunger und
Krankheit zugrunde gingen, daß es beständig Kämpfe unter
ihnen gebe und daß sie ihre Zuflucht bereits zu Kannibalismus
und Kindesmord genommen hätten. Napoleon war sich der
schlimmen Folgen wohl bewußt, die es zeitigen mochte, würde
der wahre Sachverhalt der Ernährungslage bekannt, und er
beschloß, vermittels Mister Whympers einen gegenteiligen
Eindruck zu erwecken. Bislang waren die Tiere mit Mister
Whymper bei dessen allwöchentlichen Besuchen kaum oder gar
nicht in Kontakt gekommen: jetzt jedoch instruierte man einige
ausgewählte Tiere, zumeist Schafe, in seiner Gegenwart
beiläufig fallenzulassen, daß die Rationen heraufgesetzt worden
seien. Zusätzlich ordnete Napoleon an, die beinahe leeren
Kästen in der Futterkammer bis an den Rand mit Sand zu füllen,
der dann mit den Korn- und Schrotmehlresten zugeschüttet
wurde. Unter einem geeigneten Vorwand wurde Whymper
durch den Vorratsschuppen geführt und durfte auch einen
flüchtigen Blick auf die Kästen werfen. Er ließ sich täuschen
und berichtete der Umwelt, daß auf der Farm der Tiere keine
Futterknappheit herrsche.
Nichtsdestotrotz stellte sich Ende Januar heraus, daß es nötig
sein würde, von irgendwoher noch Korn zu beschaffen. In
diesen Tagen erschien Napoleon nur selten in der Öffentlichkeit,
sondern brachte die ganze Zeit im Farmhaus zu, das an allen
Türen von grimmigschauenden Hunden bewacht wurde. Verließ
er es doch einmal, so vollzog sich dies auf zeremonielle Art mit
einer Eskorte von sechs Hunden, die ihn dicht umringten und
jeden anknurrten, der zu nahe kam. Häufig erschien er nicht
einmal Sonntagmorgens, sondern ließ seine Weisungen durch
eins der anderen Schweine erteilen, für gewöhnlich durch
Schwatzwutz.
Eines Sonntagmorgens verkündete Schwatzwutz, daß die
Hennen, die eben wieder ans Legen gegangen waren, ihre Eier
abliefern müßten. Napoleon sei, durch Whympers Vermittlung,
einen Vertrag über die Lieferung von vierhundert Eiern pro
Woche eingegangen. Von dem Erlös ließe sich genug Korn und
Schrotmehl kaufen, um die Farm in Gang zu halten, bis der
Sommer käme und die Lebensbedingungen leichter wären.
Als die Hennen dies hörten, erhoben sie ein fürchterliches
Geschrei. Es war ihnen zwar schon früher angekündigt worden,
daß dieses Opfer nötig werden könnte, aber nie hatten sie
geglaubt, daß es wirklich dazu kommen würde. Sie richteten
gerade ihre Nester für die Frühlingsbrut her, und sie
protestierten, daß es Mord sei, ihnen die Eier jetzt
wegzunehmen. Zum erstenmal seit Jones Vertreibung kam es zu
so etwas wie einer Rebellion. Angeführt von drei schwarzen
Minorca-Junghennen, unternahmen die Hühner einen entschlossenen Versuch, Napoleons Wünsche zu durchzukreuzen. 
Ihre Methode bestand darin, hoch ins
Sparrenwerk zu flattern und dort ihre Eier zu legen, die dann auf
dem Boden zerschellten. Napoleon handelte rasch und
rücksichtslos. Er sperrte den Hühnern die Rationen und
verkündete, daß jedes Tier, das einem Huhn auch nur ein Korn
gebe, mit dem Tode bestraft werden sollte. Die Hunde sorgten
dafür, daß diese Befehle ausgeführt wurden. Fünf Tage hielten
die Hühner aus, dann kapitulierten sie und kehrten an ihre
Nestplätze zurück. Neun Hühner waren in der Zwischenzeit
gestorben. Ihre Leichen wurden im Obstgarten begraben, und es
wurde bekanntgemacht, sie seien an Kokzidiose gestorben.
Whymper erfuhr von dieser Angelegenheit kein Wort, und die
Eier wurden pünktlich dem Lieferwagen eines Kolonialwarenhändlers übergeben, der einmal in der Woche auf
die Farm gefahren kam, um sie abzuholen.
Während dieser ganzen Zeit hatte von Schneeball jede Spur
gefehlt. Er sollte sich gerüchteweise auf einer der
Nachbarfarmen versteckt halten, entweder auf Fuchswald oder
auf Knickerfeld. Napoleon stand unterdessen mit den anderen
Farmern auf leidlich besserem Fuß als vorher. Zufällig lagerte
im Hof ein Stapel Bauholz, das dort schon vor zehn Jahren
aufgeschichtet worden war, als man ein Buchengehölz gelichtet
hatte. Es war gut abgelagert, und Whymper hatte Napoleon zum
Verkauf geraten; sowohl Mister Pilkington wie Mister Frederick
brannten darauf, es zu kaufen. Napoleon schwankte zwischen
den beiden und konnte sich nicht recht entschließen. Man
bemerkte, daß es immer dann, wenn er im Begriff zu stehen
schien, sich mit Frederick handelseinig zu werden, hieß,
Schneeball verstecke sich auf Fuchswald, während, wenn er
mehr Mister Pilkington zuneigte, behauptet wurde, Schneeball sei
auf Knickerfeld.
Zu Frühlingsbeginn machte man plötzlich eine alarmierende
Entdeckung. Schneeball suchte nachts heimlich die Farm auf!
Die Tiere waren so beunruhigt, daß sie in ihren Ställen kaum
noch Schlaf fanden. Jede Nacht, so hieß es, schleiche er sich im
Schütze der Dunkelheit herein und verübe alle möglichen
Missetaten. Er stahl das Korn, er stieß die Milchkübel um, er
zerbrach die Eier, er zertrampelte die Saatbeete, er knabberte die
Rinde der Obstbäume ab. Immer wenn irgendetwas schiefging,
wurde dies in der Regel Schneeball zugeschrieben. War ein
Fenster zerbrochen oder ein Abfluß verstopft, durfte man sicher
sein, daß irgendjemand erklärte, Schneeball sei bei der Nacht
gekommen und habe es getan, und als der Schlüssel zur
Futterkammer verloren ging, da war die ganze Farm überzeugt
davon, daß Schneeball ihn in den Brunnen geworfen hatte.
Merkwürdigerweise hielten sie auch dann noch an dieser
Überzeugung fest, als sich der verlegte Schlüssel unter einem
Sack mit Schrotmehl fand. Die Kühe erklärten einstimmig,
Schneeball schleiche sich nächtens in ihre Ställe und melke sie
im Schlaf. Von den Ratten, die in diesem Winter eine rechte
Plage gewesen waren, wurde ebenfalls behauptet, sie steckten
mit Schneeball unter einer Decke.
Napoleon ordnete eine umfassende Untersuchung der
Aktivitäten Schneeballs an. In Begleitung seiner Hunde brach er
zu einem sorgfältigen Inspektionsrundgang durch die
Farmgebäude auf, und die anderen Tiere folgten ihm in
respektvollem Abstand. Alle paar Schritte blieb Napoleon
stehen und schnüffelte auf dem Boden nach Schneeballs Spuren,
die er, wie er sagte, am Geruch erkennen könne. Er schnüffelte
an allen Ecken und Enden, in der Scheune, im Kuhstall, in den
Hühnerhäusern, im Gemüsegarten, und fand bald überall Spuren
von Schneeball. Er senkte dann immer den Rüssel auf den
Boden, schnuffte mehrmals kräftig und rief mit fürchterlicher
Stimme: »Schneeball! Er ist hiergewesen! Ich kann ihn ganz
deutlich wittern!«, und bei dem Wort ›Schneeball‹ ließen alle
Hunde ein haarsträubendes Knurren hören und bleckten die
Reißzähne.
Die Tiere waren gründlich erschrocken. Es schien ihnen, als
wäre Schneeball eine Art unsichtbare Macht, die die Luft um sie
herum durchdrang und sie mit allen möglichen Gefahren
bedrohte. Am Abend rief Schwatzwutz sie zusammen und sagte
ihnen mit besorgter Miene, daß er ihnen überaus ernste
Neuigkeiten mitzuteilen habe.
»Genossen!« rief Schwatzwutz und hopste nervös hin und her,
»es ist etwas ganz Entsetzliches entdeckt worden. Schneeball hat
sich an Frederick von der Knickerfeld-Farm verkauft, der eben
jetzt Ränke schmiedet, uns anzugreifen und uns unsere Farm
wegzunehmen! Schneeball soll ihm als Führer dienen, wenn der
Angriff beginnt. Doch es kommt noch schlimmer. Wir hatten
geglaubt, Schneeballs Rebellion sei durch seine Eitelkeit und
seinen Ehrgeiz ausgelöst worden. Aber wir haben uns geirrt,
Genossen. Wißt ihr, was der wahre Grund dafür war?
Schneeball war von Anfang an mit Jones im Bunde! Er war die
ganze Zeit über Jones' Geheimagent. Das alles ist durch
Dokumente bewiesen, die er zurückließ und die wir gerade erst
jetzt entdeckt haben. Meiner Ansicht nach, Genossen, erklärt das
eine ganze Menge. Haben wir denn nicht selber gesehen, wie er
- zum Glück erfolglos - versuchte, uns bei der Schlacht am
Kuhstall eine Niederlage und die Vernichtung zu bereiten?«
Die Tiere waren wie vor den Kopf gestoßen. Dies war ja eine
Heimtücke Schneeballs, die die Zerstörung der Windmühle noch
bei weitem übertraf. Aber es dauerte ein paar Minuten, bevor sie
es ganz fassen konnten. Sie erinnerten sich alle, oder glaubten
sich zu erinnern, wie sie Schneeball bei der Schlacht am
Kuhstall hatten voranstürmen sehen, wie er sie dauernd um sich
geschart und ihnen Mut gemacht hatte und wie er selbst da nicht
einen Moment gezaudert hatte, als ihn die Schrotkugeln aus
Jones' Flinte am Rücken verwundeten. Es war zunächst doch ein
bißchen schwer einzusehen, wie dies dazu paßte, daß er mit
Jones im Bunde war. Sogar Boxer, der selten Fragen stellte, war
verwirrt. Er legte sich nieder, klappte die Vorderhufe ein,
machte die Augen zu und schaffte es mit großer Mühe, seine
Gedanken zu formulieren.
»Das glaube ich nicht«, sagte er. »Schneeball hat in der
Schlacht am Kuhstall tapfer gekämpft. Ich habe es mit eigenen
Augen gesehen. Haben wir ihm denn nicht gleich hinterher den
›Tierheld erster Klasse‹ verliehen?«
»Das war unser Fehler, Genosse. Denn jetzt wissen wir - es
steht alles in den Geheimdokumenten, die wir gefunden haben -
daß er in Wahrheit versuchte, uns ins Verderben zu locken.«
»Aber er wurde doch verwundet«, sagte Boxer. »Wir alle
haben gesehen, wie schlimm er geblutet hat.«
»Das gehörte mit zu dem Komplott!« schrie Schwatzwutz.
»Jones gab nur einen Streifschuß auf ihn ab. Ich könnte euch das
alles in seiner eigenen Handschrift vorlegen, wenn ihr es nur
lesen könntet. Der Plan sah für Schneeball vor, daß er im
kritischen Augenblick das Signal zur Flucht geben und das Feld
dem Feind überlassen sollte. Und das wäre ihm auch um ein
Haar geglückt - ich wage sogar zu behaupten, Genossen, es wäre
ihm geglückt, wenn unser heldenhafter Führer, Genosse
Napoleon, nicht zur Stelle gewesen wäre. Erinnert ihr euch
nicht, wie Schneeball, just als Jones und seine Leute in den Hof
eingedrungen waren, plötzlich kehrt machte und floh, und viele
Tiere ihm folgten? Und erinnert ihr euch nicht auch, daß just in
diesem Moment, da sich Panik verbreitete und alles verloren
schien, Genosse Napoleon mit dem Ruf ›Tod der Menschheit‹
vorpreschte und seine Zähne in Jones' Bein schlug? Daran müßt
ihr euch doch erinnern, Genossen, oder?« rief Schwatzwutz und
hüpfte auf und ab.
Nun, da Schwatzwutz das Geschehen so anschaulich
schilderte, schien es den Tieren, als erinnerten sie sich daran.
Jedenfalls erinnerten sie sich daran, daß Schneeball im
kritischen Augenblick der Schlacht kehrt gemacht hatte und
geflohen war. Doch Boxer fühlte sich noch immer ein wenig
unbehaglich dabei.
»Ich glaube nicht, daß Schneeball von Anfang an ein Verräter
war«, sagte er schließlich. »Was er seither getan hat, das steht
auf einem anderen Blatt. Doch ich glaube, daß er uns in der
Schlacht am Kuhstall ein guter Genosse gewesen ist.«
»Unser Führer, Genosse Napoleon«, verkündete Schwatzwutz
und sprach dabei sehr langsam und bestimmt, »hat kategorisch
festgestellt - kategorisch, Genosse - , daß Schneeball von allem
Anfang an ein Agent von Jones gewesen ist - jawohl, und schon
lange bevor man überhaupt an Rebellion gedacht hatte.«
»Oh, das ist etwas anderes!« sagte Boxer. »Wenn Genosse
Napoleon es sagt, dann muß es stimmen.«
»Das ist die rechte Gesinnung, Genosse!« rief Schwatzwutz,
doch es blieb nicht unbemerkt, daß er mit seinen
Zwinkeräuglein Boxer einen sehr häßlichen Blick zuwarf. Er
wandte sich zum Gehen, hielt dann aber doch noch einmal inne
und fügte ergreifend hinzu: »Ich ermahne jedes Tier auf dieser
Farm dazu, die Augen weit offen zu halten. Denn wir haben
allen Grund zu der Annahme, daß einige von Schneeballs
Geheimagenten in diesem Augenblick in unserer Mitte lauern!«
Vier Tage danach ließ Napoleon alle Tiere am späten
Nachmittag zusammenkommen. Als sie alle versammelt waren,
trat Napoleon aus dem Farmhaus; er trug seine beiden Orden
(denn er hatte sich kürzlich den ›Tierheld erster Klasse‹ und den
›Tierheld zweiter Klasse‹ verliehen), und seine neun riesigen
Hunde umsprangen ihn und gaben ein Knurren von sich, das
allen Tieren eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Sie kauerten
alle stumm auf ihren Plätzen und schienen zu ahnen, daß etwas
Schreckliches bevorstand.
Napoleon musterte seine Zuhörer streng; dann stieß er ein
hohes Quieken aus. Augenblicklich sprangen die Hunde vor,
packten vier von den Schweinen bei den Ohren und schleiften
sie, die vor Schmerz und Entsetzen quiekten, Napoleon vor die
Füße. Die Ohren der Schweine bluteten, die Hunde hatten Blut
geleckt und sekundenlang schienen sie wie von Sinnen. Zu
jedermanns Erstaunen stürzten sich drei von ihnen auf Boxer.
Boxer sah sie kommen, streckte den mächtigen Huf aus,
erwischte einen Hund in der Luft und na gelte ihn auf dem
Boden fest. Der Hund winselte um Gnade, und die beiden
anderen nahmen mit eingekniffenen Schwänzen Reißaus. Boxer
blickte zu Napoleon, um zu erfahren, ob er den Hund
zerschmettern oder laufenlassen sollte. Napoleon schien die
Farbe zu wechseln und befahl Boxer scharf, den Hund
laufenzulassen, worauf Boxer den Huf hob und der Hund
zerschunden und jaulend von dannen schlich.
Der Tumult erstarb augenblicklich. Die vier Schweine
warteten zitternd und mit schuldbewußten Mienen. Napoleon
forderte sie jetzt auf, ihre Verbrechen zu gestehen. Es waren
diesselben vier Schweine, die protestiert hatten, als Napoleon
die Sonntags-Treffen abschaffte. Ohne weiteres Drängen
gestanden sie, daß sie mit Schneeball, seit seiner Verjagung,
heimlich in Verbindung gewesen waren, daß sie bei der
Zerstörung der Windmühle mit ihm kollaboriert und die
Abmachung getroffen hatten, die Farm der Tiere Mister Frederick
in die Hände zu spielen. Sie fügten hinzu, Schneeball hätte
ihnen gegenüber zugegeben, seit langen Jahren MisterJones
Geheimagent gewesen zu sein. Als sie ihr Geständnis abgelegt
hatten, zerfleischten ihnen die Hunde augenblicklich die Kehlen,
und mit fürchterlicher Stimme verlangte Napoleon zu wissen, ob
nicht noch ein Tier etwas zu beichten habe.
Die drei Hennen, die die Rädelsführerinnen bei der versuchten
Rebellion gegen die Eierlieferungen gewesen waren, meldeten
sich jetzt und sagten aus, daß Schneeball ihnen im Traum
erschienen war und sie dazu aufgewiegelt hatte, Napoleons
Befehle zu mißachten.
Auch sie wurden hingemetzelt. Dann meldete sich eine Gans
und gestand, während der letztjährigen Ernte sechs Kornähren
unterschlagen und nachts aufgefressen zu haben. Dann gestand
ein Schaf, sein Wasser - angeblich von Schneeball dazu
gedrängt - in der Tränke gelassen zu haben, und zwei andere
Schafe gestanden, einen alten Widder, einen besonders
ergebenen Anhänger Napoleons, ermordet zu haben, indem sie
ihn in einem fort um ein Gartenfeuer herumjagten, während er
an Husten litt. Sie alle wurden auf der Stelle hingeschlachtet.
Und so ging die Geschichte von Geständnissen und
Hinrichtungen fort, bis ein Leichenhaufen vor Napoleons Füßen
lag und die Luft schwer vom Blutgeruch war, den man seit
Jones' Vertreiben dort nicht mehr gekannt hatte.
Als alles vorüber war, schlichen sich die übrigen Tiere, bis
auf die Schweine und die Hunde, gemeinsam davon. Sie waren
erschüttert und fühlten sich elend. Sie wußten nicht, was
empörender war - der Verrat der Tiere, die sich mit Schneeball
verbündet hatten, oder die grausame Vergeltung, deren Zeuge
sie eben geworden waren. In den alten Tagen hatte es oft ein
ebenso schreckliches Blutvergießen gegeben, doch es schien
ihnen allen, daß es jetzt viel schlimmer war, wo es in ihren
eigenen Reihen geschah. Seit Jones die Farm verlassen hatte,
war bis heute kein Tier von einem anderen getötet worden.
Nicht einmal eine Ratte. Sie waren die kleine Hügelkuppe
hinaufgezogen, wo die halbfertige Windmühle stand, und
einmütig lagerten sich alle hin, so als kuschelten sie sich
wärmend aneinander - Kleeblatt, Muriel, Benjamin, die Kühe,
die Schafe und eine ganze Schar Gänse und Hühner - eigentlich
alle, bis auf die Katze, die plötzlich verschwunden war, kurz
bevor Napoleon die Tiere zusammenrief. Eine ganze Weile
sagte niemand etwas. Nur Boxer blieb stehen. Er tänzelte auf
und ab, peitschte sich mit dem langen, schwarzen Schweif die
Flanken und gab von Zeit zu Zeit ein leises, erstauntes Wiehern
von sich. Schließlich sagte er:
»Ich verstehe das nicht. Ich hätte nicht geglaubt, daß auf
unserer Farm solche Dinge passieren könnten. Der Fehler muß
irgendwo bei uns selbst liegen. Die Lösung heißt, so wie ich das
sehe, noch härter zu arbeiten. Von jetzt an werde ich morgens
eine ganze Stunde früher aufstehen.«
Und er zockelte in seinem schwerfälligen Trab in Richtung
Steinbruch davon. Dort angelangt, belud er den Karren zweimal
hintereinander mit Steinen und zerrte ihn zur Windmühle, ehe er
sich zur Ruhe begab.
Die Tiere kuschelten sich wortlos um Kleeblatt. Die
Hügelkuppe, auf der sie lagen, gewährte ihnen einen weiten
Ausblick über das Land. Der größte Teil der Farm der Tiere lag
vor sie hingebettet - die lange Weide, die sich bis zur
Hauptstraße dehnte, die Wiese, das Gehölz, die Tränke, die
gepflügten Felder, wo der junge Weizen dicht und grün stand,
und die roten Dächer der Farmgebäude mit dem Rauch, der sich
aus ihren Schornsteinen kräuselte. Es war ein klarer
Frühlingsabend. Die waagrecht einfallenden Strahlen der Sonne
vergoldeten das Gras und die knospenden Hecken. Nie war den
Tieren die Farm - und mit einiger Überraschung entsannen sie
sich, daß es ihre eigene Farm, jeder Zoll davon ihr Eigentum
war - so begehrenswert erschienen. Als Kleeblatt die
Hügelflanke hinunterblickte, traten ihr Tränen in die Augen.
Hätte sie ihre Gedanken aussprechen können, würde sie gesagt
haben, daß es dies nicht war, was sie erstrebt hatten, als sie vor
Jahren darangegangen waren, den Sturz der menschlichen Rasse
zu betreiben. Diese Greuelszenen und dieses Gemetzel waren es
nicht, dem sie in jener Nacht freudig entgegengesehen hatten,
als sie Old Major zum erstenmal zur Rebellion aufstachelte.
Wenn sie selbst je ein eigenes Bild von der Zukunft gehabt
hatte, so war es das einer von Hunger und Peitsche befreiten
Gemeinschaft von Tieren gewesen, wo alle gleich waren, jeder
nach seinem Vermögen arbeitete, und wo der Starke den
Schwachen beschützte, so wie sie, in der Nacht von Majors
Rede, mit ihrem Vorderlauf die Brut Entlein beschützt hatte.
Statt dessen - warum, wußte sie nicht - hatten sie es zu einer Zeit
gebracht, wo niemand es wagte, seine Meinung zu sagen, wo
überall wilde, knurrende Hunde herumstöberten, und wo man
mitansehen mußte, wie die eigenen Genossen in Stücke gerissen
wurden, nachdem sie empörende Verbrechen gebeichtet hatten.
Sie hegte keinen Gedanken an Ungehorsam oder Revolte. Sie
wußte, daß sie alle - selbst so wie die Dinge lagen - jetzt viel
besser dran waren als zu Jones' Zeiten, und daß es vor allem
galt, die Rückkehr der Menschen zu verhindern. Was auch
geschehen mochte, sie würde die Treue halten, hart arbeiten, die
ihr erteilten Befehle ausführen und Napoleons Führerschaft
anerkennen. Trotzdem aber war dies nicht, worauf sie und mit
ihr all die übrigen Tiere gehofft und wofür sie sich geschunden
hatten. Nicht hierfür hatten sie die Windmühle gebaut und den
Kugeln aus Jones' Flinte getrotzt. Dies etwa waren ihre
Gedanken, wenn es ihr auch an Worten mangelte, sie
auszudrücken.
Zuletzt stimmte sie ›Tiere Englands‹ an, weil ihr dies
irgendwie ein Ersatz für die Worte zu sein schien, die sie nicht
finden konnte. Die übrigen Tiere, die um sie her saßen, fielen
mit ein, und sie sangen das Lied dreimal hintereinander - sehr
melodisch, aber langsam und kummervoll, so wie sie es nie
zuvor gesungen hatten.
Sie hatten es eben zum dritten Mal zu Ende gesungen, da
näherte sich ihnen, von zwei Hunden begleitet, Schwatzwutz mit
gewichtiger Miene. Er erklärte ›Tiere Englands‹ durch einen
Sondererlaß Napoleons für abgeschafft. Von Stund an dürfe es
nicht mehr gesungen werden.
Die Tiere waren bestürzt.
»Aber warum?« rief Muriel.
»Es wird nicht mehr gebraucht, Genossin«, sagte
Schwatzwutz steif. »›Tiere Englands‹ war das Lied der
Rebellion. Aber die Rebellion ist jetzt durchgeführt. Die
Hinrichtung der Verräter heute nachmittag war ihr Schlußakt.
Der äußere wie der innere Feind ist besiegt. In ›Tiere Englands‹
haben wir unsere Sehnsucht nach einer zukünftigen besseren
Gesellschaft ausgedrückt. Aber diese Gesellschaft ist jetzt
verwirklicht worden. Dieses Lied hat also eindeutig keinen Sinn
mehr.«
So erschrocken sie auch waren, hätten einige der Tiere
vielleicht doch protestiert, aber in diesem Moment stimmten die
Schafe ihr übliches Geblöke »Vierbeiner gut, Zweibeiner
schlecht« an, und dies dauerte etliche Minuten lang an und
setzte jeder Diskussion ein Ende.
So erklang ›Tiere Englands‹ nie mehr. Dafür hatte Minimus,
der Dichter, ein anderes Lied komponiert, das mit den Worten
anhob:
Farm der Tiere, dir gilt mein Eid:
Nie treffe dich durch mich ein Leid!
und dies wurde nun jeden Sonntagmorgen nachdem Hissen
der Flagge gesungen. Doch irgendwie schien es den Tieren, daß
weder die Worte noch die Melodie an ›Tiere Englands‹
heranreichten.

Als einige Tage später das Entsetzen über die Hinrichtungen
abgeflaut war, erinnerten sich manche Tiere - oder glaubten,
sich zu erinnern - , daß das Sechste Gebot verfügte: ›Kein Tier
soll ein anderes Tier töten. ‹ Und obgleich es keiner im Beisein
der Schweine oder der Hunde sagen mochte, herrschte doch das
Gefühl, daß die stattgefundenen Hinrichtungen damit nicht in
Einklang standen. Kleeblatt bat Benjamin, er möge ihr das
Sechste Gebot vorlesen, und als Benjamin, wie üblich, sagte, er
weigere sich, sich in derartige Angelegenheiten einzumischen,
da holte sie Muriel. Und Muriel las ihr das Gebot vor. Es
lautete: ›Kein Tier soll ein anderes Tier töten ohne Grund.‹
Irgendwie waren die letzten zwei Worte dem Gedächtnis der
Tiere entfallen. Doch sie sahen jetzt, daß das Gebot nicht
gebrochen worden war; denn es gab eindeutig allen Grund, die
Verräter zu töten, die sich mit Schneeball verbündet hatten.
Dies ganze Jahr hindurch arbeiteten die Tiere sogar noch
härter, als sie es im Vorjahr getan hatten. Die Windmühle mit
doppelt so starken Mauern wie vorher wiederaufzubauen und sie
zum festgesetzten Termin zu vollenden, dazu noch die reguläre
Farmarbeit, das war schon eine ungeheure Mühe. Es gab Tage,
da schien es den Tieren, als arbeiteten sie länger und stünden
dabei nicht besser im Futter als zu Jones' Zeiten.
Sonntagmorgens las ihnen dann Schwatzwutz von einem langen
Papierstreifen, den er mit seiner Schweinshaxe auf dem Boden
festhielt, Zahlenkolonnen vor, die bewiesen, daß die Produktion
von Futtermitteln jeder Art - je nachdem - um 200 Prozent, um
300 Prozent oder um 500 Prozent angestiegen war. Die Tiere
sahen keinen Grund, ihm nicht zu glauben, zumal sie sich nicht
mehr sehr deutlich daran erinnern konnten, wie die Zustände vor
der Rebellion gewesen waren. Trotzdem spürten sie an manchen
Tagen, daß sie lieber etwas weniger Zahlen und etwas mehr
Futter gehabt hätten.
Alle Befehle ergingen jetzt entweder durch Schwatzwutz oder
durch eins der anderen Schweine. Napoleon selbst ließ sich nur
alle vierzehn Tage einmal in der Öffentlichkeit blicken. Trat er
in Erscheinung, begleitete ihn nicht nur sein Gefolge von
Hunden, sondern auch ein schwarzer Junghahn, der ihm
sozusagen als Herold vorneweg stolzierte und ein lautes
›Kikeriki‹ erschallen ließ, bevor Napoleon zu sprechen anhob.
Es hieß, daß Napoleon sogar im Farmhaus von den anderen
getrennte Räume bewohne. Er nahm die Mahlzeiten allein ein,
mit zwei Hunden zu seiner Bedienung, und er speiste stets von
dem Meißner-Porzellan-Service aus der Glasvitrine im
Wohnzimmerschrank. Es wurde weiterhin verkündet, daß jedes
Jahr an Napoleons Geburtstag die Flinte abgefeuert werden
würde, ebenso wie an den beiden anderen Jahrestagen. Von
Napoleon sprach man jetzt nie mehr einfach als ›Napoleon‹.
Man sprach von ihm immer in formellem Stil als ›unser Führer,
Genosse Napoleon‹, und die Schweine erfanden gern solche
Titel für ihn wie ›Vater aller Tiere‹, ›Schrecken der
Menschheit‹, ›Schirmherr der Schafhürden‹, ›Entleins Freund‹
und dergleichen. In seinen Reden sprach Schwatzwutz mit
tränenüberströmten Backen von Napoleons Weisheit, seiner
Herzensgüte und der tiefempfundenen Liebe, die er für alle
Tiere allerorten hege, auch und ganz besonders für jene
bedauernswerten Geschöpfe, die auf den anderen Farmen noch
immer in Unwissenheit und Sklaverei lebten. Es war zur lieben
Gewohnheit geworden, jede erfolgreiche Leistung und jeden
Glückstreffer Napoleon als Verdienst anzurechnen. Man konnte
oft ein Huhn zum anderen sagen hören: »Unter der Leitung
unseres Führers, des Genossen Napoleon, habe ich in sechs
Tagen fünf Eier gelegt«; oder zwei Kühe, die sich am Teich ein
Schlückchen gönnten, riefen aus: »Wie ausgezeichnet mundet
doch, dank der Führerschaft Genosse Napoleons, dieses
Wasser!« Das allgemeine Empfinden auf der Farm kam sehr gut
in einem ›Genosse Napoleon‹ betitelten Gedicht zum Ausdruck,
das Minimus verfaßt hatte und das wie folgt lautete:
Vater der Waisenheit!
Quelle der Seligkeit!
Meister des Schweinetrogs! Ach, wie mein Herz
In Brand, schau' ich in Dein
[steht schon
Äug', das so hehr und rein
wie laut'rer Sonnenschein,
Genoss' Napoleon!
Was nur Dein Volk begehrt,
Wird ihm von Dir beschert:
Zweimal die Krippe voll, dazu noch Heu
Jedes Tier, klein und groß,
Ruht sicher wie im Schoß,
Wachst Du doch pausenlos,
Genoss' Napoleon!
[als Lohn;
Hätt' ich ein Ferkelkind,
Es lernte ganz geschwind,
Egal wie klein es wär', ob Tochter oder Sohn,
Wie's Treue Dir bewies
Und einzig Dich nur pries;
Sein erster Quiekser hieß:
Genoss' Napoleon!
Napoleon billigte dieses Gedicht und veranlaßte, daß es an die
Wand der großen Scheune geschrieben wurde, den Sieben
Geboten gegenüber. Ein Profilporträt Napoleons, von
Schwatzwutz in weißer Farbe ausgeführt, krönte es.
Inzwischen war Napoleon durch Whympers Vermittlung in
komplizierte Verhandlungen mit Frederick und Pilkington
eingetreten. Der Stapel Bauholz war noch immer nicht verkauft.
Frederick war derjenige von den beiden, der mehr darauf erpicht
war, mochte jedoch keinen anständigen Preis bezahlen.
Gleichzeitig gab es erneute Gerüchte, daß Frederick und seine
Leute planten, die Farm der Tiere anzugreifen und die
Windmühle zu zerstören, deren Bau in ihm eine rasende
Eifersucht erweckt hatte. Von Schneeball wußte man, daß er
sich noch immer auf der Knickerfeld-Farm herumdrückte. Im
Hochsommer wurden die Tiere durch die Neuigkeit alarmiert,
daß sich drei Hühner gemeldet und gestanden hatten, daß sie,
angestiftet von Schneeball, ein Komplott zur Ermordung
Napoleons geschmiedet hatten. Sie wurden unverzüglich
hingerichtet, und man traf neue Sicherheitsvorkehrungen für
Napoleon. Vier Hunde bewachten nachts sein Bett, an jeder
Ecke einer, und einem jungen Schwein namens Rotäuglein
wurde die Aufgabe übertragen, ihm sein Essen vorzukosten, und
zwar aus Angst vor Vergiftung. Etwa um dieselbe Zeit wurde
bekanntgegeben, daß Napoleon vereinbart habe, den Stapel
Bauholz an Mister Pilkington zu verkaufen; er werde ebenfalls ein
reguläres Abkommen über den Austausch bestimmter Produkte
zwischen der Farm der Tiere und Fuchswald schließen. Die
Beziehungen zwischen Napoleon und Pilkington waren jetzt,
obwohl sie nur durch Whymper unterhalten wurden, beinahe
freundschaftlich. Die Tiere mißtrauten Pilkington als einem
Menschen, zogen ihn aber bei weitem Frederick vor, den sie
zugleich fürchteten und haßten. Als der Sommer ins Land schritt
und die Windmühle ihrer Fertigstellung entgegensah, mehrten
sich die Gerüchte über einen bevorstehenden, heimtückischen
Überfall. Frederick, so hieß es, beabsichtige, zwanzig mit
Gewehren ausgerüstete Männer gegen sie aufzubieten, und habe
den Magistrat und die Polizei bereits bestochen, so daß, hielte er
erst einmal die Besitzurkunden der Farm der Tiere in den
Fingern, keine weiteren Fragen mehr gestellt werden würden.
Zudem sickerten aus Knickerfeld schreckliche Geschichten über
die Grausamkeiten durch, die Frederick an seinen Tieren verübe.
Er habe einen alten Gaul totgepeitscht, er lasse seine Kühe
verhungern, er habe einen Hund umgebracht, indem er ihn in die
Kesselfeuerung warf, er vergnüge sich abends damit, Hähne
miteinander kämpfen zu lassen, denen er die Ecken von
Rasierklingen an die Sporen binde. Die Tiere kochten vor Wut,
wenn sie hörten, daß ihren Genossen solche Dinge angetan
wurden, und manchmal forderten sie lautstark, geschlossen
losmarschieren und Knickerfeld angreifen, die Menschen
verjagen und die Tiere befreien zu dürfen. Doch Schwatzwutz
riet ihnen, von überstürzten Aktionen abzusehen und auf
Genosse Napoleons Strategie zu vertrauen.
Nichtsdestotrotz wuchs der Unmut gegen Frederick. Eines
Sonntagmorgens erschien Napoleon in der Scheune und erklärte,
er habe es zu keiner Zeit auch nur im mindesten in Betracht
gezogen, den Stapel Bauholz an Frederick zu verkaufen, er
erachte es für unter seiner Würde, so sagte er, mit Schurken
dieses Schlages zu schaffen zu haben. Die Tauben, die noch
immer ausgesandt wurden, um die Kunde von der Rebellion zu
verbreiten, durften nirgendwomehr in Fuchswald landen, und
man befahl ihnen auch, ihre vormalige Parole ›Tod der
Menschheit‹ zugunsten von ›Tod Frederick‹ fallenzulassen. Im
Spätsommer trat wieder eine von Schneeballs Machenschaften
zutage. Die Weizenernte war voller Unkraut, und man
entdeckte, daß Schneeball bei einer seiner nächtlichen Visiten
Unkrautsamen unter das Saatgut gemischt hatte. Ein Ganter, der
in den Anschlag eingeweiht gewesen war, hatte Schwatzwutz
seine Schuld gebeichtet und gleich anschließend durch den
Verzehr todbringender Tollkirschen Selbstmord verübt. Die
Tiere erfuhren jetzt auch, daß Schneeball nie - so wie bisher
viele von ihnen geglaubt hatten - mit dem Orden ›Tierheld erster
Klasse‹ ausgezeichnet worden war. Dies sei lediglich eine
Legende, die Schneeball einige Zeit nach der Schlacht am
Kuhstall selbst verbreitet habe. Weit davon entfernt,
ausgezeichnet zu werden, war er vielmehr wegen Feigheit in der
Schlacht getadelt worden. Abermals vernahmen einige der Tiere
dies mit einer gewissen Verblüffung, doch Schwatzwutz konnte
sie bald davon überzeugen, daß ihre Erinnerung sie getrogen
hatte.
Im Herbst wurde die Windmühle durch eine ungeheuere,
erschöpfende Kraftanstrengung - denn fast zur gleichen Zeit
mußte auch die Ernte eingebracht werden - fertiggestellt. Noch
mußte die Maschinerie installiert werden, und Whymper
verhandelte über den Ankauf, doch der Bau selbst war vollendet.
Ungeachtet aller Schwierigkeiten, trotz Unerfahrenheit,
primitivem Werkzeug, Pech und Schneeballs Verrat, war das
Werk auf den Tag genau pünktlich fertig geworden! Ermüdet,
aber stolz gingen die Tiere immer wieder um ihr Meisterstück
herum, das ihnen sogar noch schöner erschien als sein
Vorgänger. Überdies waren die Mauern doppelt so dick wie
vorher. Diesmal würde es schon Sprengstoff brauchen, um sie
zum Einsturz zu bringen! Und als sie der geleisteten
Schwerarbeit und der überwundenen Hindernisse und des
gewaltigen Unterschieds gedachten, den es in ihrem Leben
machen würde, wenn sich die Flügel drehten und die Dynamos
liefen - als sie an all dies dachten, da fiel die Müdigkeit von
ihnen ab, und sie tollten mit Triumphgeschrei rings um die
Windmühle herum. Napoleon erschien in Begleitung seiner
Hunde und seines Junghahns höchstselber, um das vollendete
Werk in Augenschein zu nehmen; er gratulierte den Tieren
persönlich zu ihrer Leistung und verkündete, daß die Mühle den
Namen Napoleons-Mühle tragen werde.
Zwei Tage später wurden die Tiere zu einer
Sonderversammlung in die Scheune berufen. Sie waren
sprachlos vor Erstaunen, als ihnen Napoleon eröffnete, er habe
den Stapel Bauholz an Frederick verkauft. Morgen würden
Fredericks Wagen kommen und mit dem Abtransport beginnen.
Während seiner scheinbaren Freundschaft mit Pilkington, habe
er, Napoleon, in Wahrheit die ganze Zeit über in einem
geheimen Einvernehmen mit Frederick gestanden.
Alle Beziehungen zu Fuchswald seien abgebrochen worden;
an Pilkington habe man beleidigende Botschaften geschickt. Die
Tauben hätten Anweisung erhalten, die Knickerfeld-Farm zu
meiden und ihre Parole von ›Tod Frederick‹ in ›Tod Pilkington‹
abzuändern. Gleichzeitig versicherte Napoleon den Tieren, alle
Gerüchte über einen drohenden Angriff auf die Farm der Tiere
seien absolut unwahr und die Geschichten von Fredericks
Grausamkeiten gegen seine Tiere stark übertrieben. All diese
Gerüchte hätten ihren Ursprung wahrscheinlich in Schneeball
und seinen Agenten. Wie sich jetzt herausstellte, hielt sich
Schneeball doch nicht auf der Knickerfeld-Farm versteckt und
war auch eigentlich nie in seinem Leben dort gewesen: er lebte -
in beträchtlichem Luxus, wie es hieß - auf Fuchswald und war in
Wahrheit schon seit langen Jahren ein Kostgänger Pilkingtons.
Die Schweine gerieten über Napoleons Raffinesse ins
Schwärmen. Durch seine scheinbare Freundlichkeit Pilkington
gegenüber hätte er Frederick gezwungen, sein Gebot um zwölf
Pfund zu erhöhen. Doch Napoleons wirklich überragender
Verstand, sagte Schwatzwutz, offenbare sich in der Tatsache,
daß er niemandem traue, nicht einmal Frederick. Frederick habe
das Bauholz mit einem sogenannten Scheck bezahlen wollen,
dies sei, dem Anschein nach, ein Stück Papier, auf dem ein
Zahlungsversprechen geschrieben stände. Aber dafür sei
Napoleon zu schlau. Er habe die Bezahlung in richtigen
Fünfpfundnoten verlangt, die vor dem Abtransport des
Bauholzes übergeben werden sollten. Frederick habe bereits voll
bezahlt; und die von ihm gezahlte Summe reiche gerade, um die
Maschinerie für die Windmühle zu kaufen.
Indes wurde das Bauholz im Eiltempo davongekarrt. Als alles
weg war, hielt man in der Scheune abermals eine
Sonderversammlung für die Tiere ab, damit sie Fredericks
Banknoten begutachten konnten. Glückselig lächelnd und mit
seinen beiden Auszeichnungen geschmückt, ruhte Napoleon auf
einem Strohlager auf der Empore, neben ihm lag, säuberlich
aufgetürmt auf einer Porzellanschüssel aus der Farmhausküche,
das Geld. Die Tiere zogen langsam vorüber, und ein jedes
schaute sich satt daran. Und Boxer schob die Nase vor, um an
den Geldscheinen zu schnuppern, und die läppischen, weißen
Dinger flatterten und raschelten unter seinem Atem.
Drei Tage später gab es ein schreckliches Tohuwabohu.
Whymper kam mit totenbleichem Gesicht auf seinem Fahrrad
den Pfad hochgeflitzt, er ließ es im Hof einfach fallen und
stürzte schnurstracks ins Farmhaus. Im nächsten Augenblick
ertönte aus Napoleons Räumen ein ersticktes Wutgeheul. Die
Neuigkeit von dem, was geschehen war, breitete sich wie ein
Lauffeuer über die ganze Farm aus. Die Banknoten waren
gefälscht! Frederick hatte das Bauholz gratis bekommen!
Napoleon rief sofort die Tiere zusammen und verhängte mit
furchtbarer Stimme das Todesurteil über Frederick. Bei seiner
Gefangennahme, sagte Napoleon, sollte Frederick lebendig
gekocht werden. Gleichzeitig warnte er sie, daß man nach dieser
verräterischen Tat mit dem Schlimmsten zu rechnen habe.
Frederick und seine Leute könnten jeden Moment ihren
langerwarteten Angriff auf die Farm unternehmen. An allen
Zugängen zur Farm wurden Wachen postiert. Zusätzlich
schickte man vier Tauben mit einer Versöhnungsbotschaft nach
Fuchswald, womit man die guten Beziehungen zu Pilkington
wiederherzustellen hoffte.
Gleich am nächsten Morgen erfolgte der Angriff. Die Tiere
frühstückten gerade, als die Ausguckposten mit der Nachricht
hereinplatzten, daß Frederick und seine Gefolgsleute bereits das
Gittertor mit den fünf Querstangen durchschritten hatten. Die
Tiere führten einen sehr kühnen Ausfall gegen sie, doch diesmal
fiel ihnen der Sieg nicht so leicht zu wie bei der Schlacht am
Kuhstall. Es waren fünfzehn Mann mit insgesamt einem
Halbdutzend Flinten, und sie eröffneten das Feuer, sobald sie bis
auf fünfzig Schritt herangekommen waren. Dem Krachen und
den stechenden Schrotkörnern vermochten die Tiere nicht
standzuhalten, und trotz aller Bemühungen Napoleons und
Boxers, sie wieder zu sammeln, wurden sie bald
zurückgetrieben. Schon war eine Anzahl von ihnen verwundet.
Sie suchten Zuflucht in den Farmgebäuden und lugten vorsichtig
durch Ritzen und Astlöcher hinaus. Die große Weide war
mitsamt der Windmühle in der Hand des Feindes. Im Moment
schien sogar Napoleon ratlos. Er lief mit starr zuckendem
Schwanz wortlos auf und ab. Sehnsüchtige Blicke flogen in
Richtung Fuchswald. Wenn Pilkington und seine Leute ihnen zu
Hilfe kämen, könnte der Sieg noch errungen werden. Doch in
diesem Augenblick kehrten die vier Tauben zurück, die man am
Vortag ausgeschickt hatte, und eine von ihnen trug einen Fetzen
Papier von Pilkington im Schnabel. Darauf standen die mit
Bleistift geschriebenen Worte: »Geschieht euch ganz recht.«
Inzwischen waren Frederick und seine Leute bei der
Windmühle stehengeblieben. Die Tiere beobachteten sie, und
ein entsetztes Gemurmel machte die Runde. Zwei der Männer
hatten ein Brecheisen und einen Vorschlaghammer zum
Vorschein gebracht. Sie trafen Anstalten, die Windmühle
abzureißen.
»Unmöglich!« rief Napoleon. »Dafür haben wir die Mauern
viel zu stark gebaut. Nicht einmal in einer Woche könnten sie
sie abreißen. Mut, Genossen!«
Doch Benjamin verfolgte gespannt das Tun der Männer. Die
beiden mit dem Hammer und dem Brecheisen bohrten dicht über
dem Fundament der Windmühle ein Loch. Langsam und mit
beinahe amüsierter Miene nickte Benjamin mit seiner langen
Schnute.
»Das dachte ich mir«, sagte er. »Seht ihr denn nicht, was sie
machen? Gleich werden sie in das Loch da Sprengpulver
stopfen.«
Entsetzt warteten die Tiere ab. Es war unmöglich, sich jetzt
aus dem Schutz der Gebäude hervorzuwagen. Nach wenigen
Minuten sah man die Männer in alle Richtungen
auseinanderlaufen. Dann erfolgte ein ohrenbetäubendes Getöse.
Die Tauben wirbelten in die Luft, und alle Tiere, außer
Napoleon, warfen sich flach auf den Bauch und verbargen ihr
Gesicht. Als sie wieder aufstanden, hing dort, wo die
Windmühle gewesen war, eine riesige, schwarze Rauchwolke.
Langsam trieb sie im Luftzug davon. Die Windmühle war
einmal!
Bei diesem Anblick kehrte den Tieren der Mut zurück. Die
Furcht und Verzweiflung, die sie eben noch verspürt hatten,
ertranken in ihrer Wut über diese gemeine, niederträchtige Tat.
Ein mächtiger Schrei nach Rache brach los, und ohne weitere
Befehle abzuwarten, stürmten die Tiere geschlossen vor und
hielten direkt auf den Feind zu. Diesmal schenkten sie den
grausamen Schrotkörnern keine Beachtung, die wie ein
Hagelschauer auf sie einprasselten. Es wurde eine wilde,
erbitterte Schlacht. Die Männer feuerten unaufhörlich, und als
die Tiere dicht herangekommen waren, hieben sie mit ihren
Knütteln und derben Stiefeln drein. Eine Kuh, drei Schafe und
zwei Gänse wurden getötet, und fast jeder trug eine
Verwundung davon. Sogar Napoleon, der die Operationen von
der Nachhut aus leitete, wurde die Schwanzspitze von einem
Schrotkorn abgezwickt. Aber auch die Männer kamen nicht
ungeschoren davon. Dreien zertrümmerten Boxers Hufschläge
die Schädel; ein weiterer bekam ein Kuhhorn in den Bauch
gespießt, und wieder einem anderen rissen Jessie und
Glockenblume fast die Hosen herunter. Und als die neun Hunde
von Napoleons persönlicher Leibwache, die er instruiert hatte,
im Schutz der Hecke ein Umgehungsmanöver durchzuführen,
plötzlich mit grimmigen Gebell in der Flanke der Männer
auftauchte, da erfaßte sie Panik. Sie erkannten, daß sie Gefahr
liefen, umzingelt zu werden. Frederick brüllte seinen Leuten zu,
sie sollten verschwinden, solange noch Zeit dazu sei, und im
nächsten Moment lief der feige Feind ums Leben. Die Tiere
jagten sie bis an den Feldrand und verpaßten ihnen noch ein paar
letzte Tritte, als sie sich durch die Dornenhecke zwängten.
Sie hatten gesiegt, doch sie waren erschöpft und sie bluteten.
Langsam begannen sie zur Farm zurückzuhumpeln. Der Anblick
ihrer tot auf das Gras hingestreckten Genossen rührte manchen
von ihnen zu Tränen. Und eine kleine Weile verharrten sie in
kummervollem Schweigen an der Stelle, wo einst die
Windmühle gestanden hatte. Ja, sie war verpufft; fast bis auf den
letzten Rest war ihre Plackerei verpufft! Sogar die Fundamente
waren teilweise zerstört. Und zu ihrem Wiederaufbau konnten
sie diesmal nicht, so wie zuvor, die herabgestürzten Steine
verwenden. Diesmal waren auch die Steine verschwunden. Die
Gewalt der Explosion hatte sie Hunderte von Schritten weit
weggeschleudert. Es war, als hätte es die Windmühle nie
gegeben.
Als sie sich der Farm näherten, kam ihnen Schwatzwutz, der
während der Kämpfe unerklärlicherweise gefehlt hatte,
entgegengehopst; sein Schwanz fegte durch die Luft, und er
strahlte vor Genugtuung. Und von den Farmgebäuden her hörten
die Tiere feierlichen Flintendonner.
»Warum wird das Gewehr abgefeuert?« sagte Boxer.
»Um unseren Sieg zu feiern!« rief Schwatzwutz.
»Welchen Sieg denn?« sagte Boxer. Seine Knie bluteten, er
hatte ein Hufeisen verloren und sich den Huf zersplittert, und in
seinem Hinterlauf steckten ein Dutzend Schrotkörner.
»Welchen Sieg, Genosse? Haben wir den Feind denn nicht
von unserem Boden vertrieben - vom heiligen Boden der Farm
der Tiere?«
»Aber sie haben die Windmühle zerstört. Und wir hatten zwei
Jahre lang daran gearbeitet!«
»Na und? Wir werden eine neue Windmühle bauen. Wir
werden sechs Windmühlen bauen, wenn wir Lust dazu haben.
Du weißt die gewaltige Tat überhaupt nicht zu schätzen, die wir
vollbracht haben, Genosse. Der Feind hatte eben den Grund, auf
dem wir jetzt stehen, besetzt. Und nun haben wir - dank der
Führerschaft Genosse Napoleons - jeden Zoll davon
zurückgewonnen!«
»Dann haben wir zurückgewonnen, was wir schon vorher
besaßen«, sagte Boxer.
»Das ist unser Sieg«, sagte Schwatzwutz. Sie humpelten in
den Hof. Die Schrotkörner unter der Haut von Boxers Lauf taten
schrecklich weh. Er sah vor sich die harte Arbeit, die
Windmühle von den Fundamenten an wiederaufzubauen, und im
Geist rüstete er sich bereits für die Aufgabe. Doch er spürte zum
erstenmal, daß er elf Jahre alt war und daß seine mächtigen
Muskeln vielleicht doch nicht mehr ganz so waren wie früher.
Aber als die Tiere die grüne Flagge flattern sahen und das
Gewehr wieder krachen hörten - insgesamt wurde es siebenmal
abgefeuert - und die Rede vernahmen, die Napoleon hielt, in der
er sie zu ihrem Betragen beglückwünschte, da schien es ihnen
schließlich doch, daß sie einen großen Sieg errungen hatten. Die
in der Schlacht gefallenen Tiere erhielten ein feierliches
Begräbnis. Boxer und Kleeblatt zogen den Wagen, der als
Katafalk diente, und Napoleon schritt persönlich an der Spitze
der Prozession. Zwei volle Tage blieben den Feierlichkeiten
vorbehalten. Es gab Lieder, Reden und noch mehr Salutschüsse,
und jedes Tier erhielt als besonderes Geschenk einen Apfel, und
jeder Vogel drei Unzen Korn und jeder Hund drei
Hundekuchen. Es wurde verkündet, daß die Schlacht die
›Schlacht an der Windmühle‹ heißen werde, und daß Napoleon
einen neuen Orden gestiftet hatte, den ›Orden vom grünen
Banner‹, den er sich gleich selbst verliehen habe. 
Im allgemeinen Vergnügen wurde die unglückselige Banknotenaffäre vergessen.
Es geschah wenige Tage später, da stießen die Schweine in
den Kellern des Farmhauses auf eine Kiste Whisky. Man hatte
sie damals bei der ersten Besetzung des Hauses übersehen. In
jener Nacht drang aus dem Farmhaus lautes Singen, in das sich
zur allgemeinen Überraschung auch die Melodie von ›Tiere
Englands‹ mischte. Gegen halb zehn etwa wurde Napoleon,
einen alten Bowler von Mister Jones auf dem Kopf, eindeutig dabei
gesehen, wie er aus der Hintertür trat, rasch einmal um den Hof
herumgaloppierte und dann wieder nach drinnen verschwand.
Doch am Morgen lag tiefe Stille über dem Farmhaus. Nicht ein
Schwein schien sich zu regen. Es war beinahe neun Uhr, als
Schwatzwutz seinen Auftritt hatte; er kam langsam und
niedergedrückt daher, sein Blick war stumpf, sein Schwanz
bammelte schlaff hinter ihm, und er bot alle Anzeichen dafür,
ernstlich krank zu sein.
Er rief die Tiere zusammen und sagte ihnen, er müsse ihnen
eine fürchterliche Mitteilung machen. Genosse Napoleon liege
im Sterben! Es erhob sich ein Wehklagen. Draußen vor den
Farmhaustüren wurde Stroh aufgeschüttet, und die Tiere gingen
auf Zehenspitzen. Mit Tränen in den Augen fragten sie einander,
was sie denn bloß tun sollten, wenn ihnen ihr Führer genommen
werden würde. Es lief das Gerücht um, Schneeball habe es nun
schließlich doch noch geschafft, Napoleon Gift ins Futter zu
mischen. Um elf kam Schwatzwutz heraus, um eine neuerliche
Erklärung abzugeben. Als seine letzte Tat auf Erden habe
Genosse Napoleon eine feierliche Verordnung erlassen: der
Genuß von Alkohol sei mit dem Tode zu bestrafen.
Am Abend jedoch schien sich Napoleons Befinden etwas
gebessert zu haben, und am nächsten Morgen konnte
Schwatzwutz ihnen allen mitteilen, er sei bereits auf dem Weg
zur Genesung. Am Abend dieses Tages war Napoleon wieder an
der Arbeit, und am nächsten Tag erfuhr man, er habe Whymper
damit beauftragt, in Willingdon einige Broschüren über das
Brauen und Destillieren zu besorgen. Eine Woche später erteilte
Napoleon den Befehl, die kleine Koppel hinter dem Obstgarten
umzupflügen, die man ursprünglich den pensionierten Tieren als
Weidegrund hatte reservieren wollen. Es wurde verlautbart, daß
die Weide ausgelaugt war und neu besät werden mußte; doch es
wurde bald bekannt, daß Napoleon dort Gerste anzubauen
plante.
In dieser Zeit ereignete sich ein sonderbarer Vorfall, den sich
kaum jemand zu erklären wußte. Eines Nachts gegen zwölf Uhr
gab es im Hof ein Riesengetöse, und die Tiere kamen aus den
Ställen gestürmt. Es war eine mondhelle Nacht. Am Fuß der
Rückwand der großen Scheune, dort wo die Sieben Gebote
angeschrieben standen, lag eine entzweigebrochene Leiter.
Daneben spreizte sich der vorübergehend betäubte
Schwatzwutz, und unweit von ihm lagen eine Laterne, ein Pinsel
und ein umgekippter Topf mit weißer Farbe. Die Hunde bildeten
sofort einen Ring um Schwatzwutz und eskortierten ihn zum
Farmhaus zurück, sobald er laufen konnte. Keines der Tiere
konnte sich einen Reim darauf machen, nur der alte Benjamin
nickte wissend mit der Schnute und schien sehr wohl zu
verstehen, doch sagen wollte er nichts.
Doch als sich Miriam ein paar Tage später die Sieben Gebote
selber vorlas, da bemerkte sie, daß es noch eines gab, das die
Tiere falsch in Erinnerung hatten. Sie hatten gedacht, das Fünfte
Gebot laute: ›Kein Tier soll Alkohol trinken‹, aber da standen
zwei Worte, die sie vergessen hatten. Eigentlich lautete das
Gebot: ›Kein Tier soll Alkohol trinken im Übermaß.‹

Es dauerte lange Zeit, bis Boxers gesplitterter Huf verheilt
war. Man hatte gleich an dem Tag nach den Siegesfeiern mit
dem Wiederaufbau der Windmühle begonnen. Boxer weigerte
sich, der Arbeit auch nur einen Tag fernzubleiben, und machte
eine Ehrensache daraus, sich seine Schmerzen nicht anmerken
zu lassen. Abends gestand er Kleeblatt unter vier Augen, daß
ihm der Huf doch sehr zu schaffen mache. Kleeblatt behandelte
den Huf mit Breiumschlägen aus Kräutern, die sie zur
Vorbereitung durchkaute; und sowohl sie wie auch Benjamin
redeten Boxer ins Gewissen, nicht mehr so schwer zu arbeiten.
»Pferdelungen halten auch nicht ewig«, sagte sie zu ihm. Doch
Boxer wollte nichts davon hören. Er habe nur noch einen
wirklichen Ehrgeiz, sagte er - nämlich, den Bau der Windmühle
möglichst weit fortgeschritten zu sehen, bevor er das
Ruhestandsalter erreiche.
Zu Anfang, als die Gesetze der Farm der Tiere zum erstenmal
formuliert worden waren, hatte man die Altersgrenze für Pferde
und Schweine auf zwölf, für Kühe auf vierzehn, für Hunde auf
neun, für Schafe auf sieben und für Hühner und Gänse auf fünf
Jahre festgesetzt. Man hatte sich auf eine großzügige
Altersversorgung geeinigt. Bis jetzt war noch kein Tier
tatsächlich in den Ruhestand getreten, doch in letzter Zeit hatte
das Thema immer häufiger zur Diskussion gestanden. Jetzt, wo
das kleine Feld hinter dem Obstgarten dem Anbau von Gerste
vorbehalten blieb, munkelte man, daß eine Ecke der großen
Weide abgezäunt und in einen Weideplatz für überalterte Tiere
verwandelt werden sollte. Für ein Pferd, hieß es, werde die
Altersversorgung täglich fünf Pfund Korn und im Winter
fünfzehn Pfund Heu betragen, zuzüglich einer Möhre oder
möglicherweise eines Apfels an öffentlichen Feiertagen. Boxers
zwölfter Geburtstag würde nächstes Jahr im Spätsommer sein.
Unterdessen war das Leben hart. Der Winter war so streng
wie der letzte und das Futter sogar noch knapper. Abermals
wurden alle Rationen gekürzt, nur die der Schweine und Hunde
nicht. Eine allzu starre Gleichheit der Rationen, erklärte
Schwatzwutz, würde den Prinzipien des Animalismus
widersprochen haben. Jedenfalls bereitete es ihm keinerlei
Schwierigkeiten, den anderen Tieren zu beweisen, daß es in
Wirklichkeit gar keinen Futtermangel gab, auch wenn es
scheinbar so aussah. Vorläufig sei es freilich für nötig befunden
worden, eine Anpassung der Rationen vorzunehmen
(Schwatzwutz sprach stets von ›Anpassung‹ und niemals von
›Kürzung‹), doch im Vergleich mit den Zeiten von Jones'
Herrschaft sei die Verbesserung noch immer enorm. Indem er
die Zahlen mit schriller, schneller Stimme verlas, bewies er
ihnen im einzelnen, daß sie mehr Hafer, mehr Heu, mehr Rüben
hatten als zu Jones' Zeiten, daß sie weniger Stunden arbeiteten,
daß ihr Trinkwasser von besserer Qualität war, daß sie länger
lebten, daß ein größerer Prozentsatz ihrer Jungen das
Kleinkindalter überstand, und daß sie mehr Stroh in ihren
Ställen und weniger unter Flöhen zu leiden hatten. Die Tiere
glaubten jedes Wort davon. Ehrlich gesagt war ihnen Jones und
alles, wofür er stand, beinahe aus dem Gedächtnis
entschwunden. Sie wußten, daß das Leben heutzutage rauh und
karg war, daß sie oft hungrig waren und oft froren und daß sie
für gewöhnlich arbeiteten, wenn sie nicht gerade schliefen. Aber
in den alten Tagen war es zweifellos schlimmer gewesen. Daran
glaubten sie mit Freuden. Außerdem waren sie in jenen fernen
Tagen Sklaven gewesen, und jetzt waren sie frei, und das
machte den großen Unterschied aus, wie Schwatzwutz nie müde
wurde hervorzuheben.
Es waren jetzt viel mehr Mäuler zu füttern. Im Herbst hatten
die vier Sauen beinahe zur gleichen Zeit geworfen und
gemeinsam einunddreißig Ferkel zur Welt gebracht. Die Ferkel
waren gescheckt, und da Napoleon der einzige Keiler auf der
Farm war, ließ sich ihre Abstammung leicht erraten. Es wurde
verkündet, daß später, nach dem Erwerb von Ziegeln und
Bauholz, im Farmhausgarten ein Schulzimmer gebaut werden
sollte. Vorläufig wurden die Ferkel von Napoleon persönlich in
der Farmhausküche unterrichtet. Sie turnten im Garten und
wurden davon abgehalten, mit den anderen Jungtieren zu
spielen. Um diese Zeit wurde auch eine neue Verordnung
erlassen: wenn ein Schwein und irgendein anderes Tier einander
auf dem Pfad begegneten, dann mußte das andere Tier beiseite
treten; und weiterhin, daß allen Schweinen, ungeachtet ihres
Ranges, das Privileg gebühren sollte, sonntags ein grünes Band
am Schwanz zu tragen.
Die Farm hatte ein leidlich erfolgreiches Jahr hinter sich, litt
aber immer noch an Geldmangel. Es mußten Ziegel, Sand und
Kalk für das Schulzimmer gekauft werden, und es würde auch
nötig sein, wieder mit dem Sparen für die Maschinerie der
Windmühle zu beginnen. Dazu kamen dann noch Lampenöl und
Kerzen für das Haus, Zucker für Napoleons persönliche Tafel
(den anderen Schweinen verbot er ihn mit der Begründung, er
mache sie fett) und was sonst eben noch alles aufzufüllen war,
wie Werkzeuge, Nägel, Schnur, Kohle, Draht, Alteisen und
Hundekuchen. Man stieß eine Ladung Heu und einen Teil der
Kartoffelernte ab, und der Eiervertrag wurde auf sechshundert
Stück pro Woche erhöht, so daß die Hennen in diesem Jahr
kaum genug Küken ausbrüteten, um ihren Bestand
gleichzuhalten. Die im Dezember gekürzten Rationen wurden
im Februar abermals gekürzt, und um Öl zu sparen, verbot man
in den Ställen die Laternen. Doch die Schweine schienen sich
sauwohl zu fühlen, und wenn überhaupt etwas, so nahmen sie
dabei noch zu. Eines Nachmittags, Ende Februar, wehte ein
warmer, würziger, appetitanregender Duft, so wie ihn die Tiere
noch nie zuvor gerochen hatten, über den Hof; er kam von dem
kleinen Brauhaus, das zu Jones' Zeiten stillgelegt gewesen war
und das hinter der Küche stand. Jemand sagte, es sei der Geruch
von kochender Gerste. Die Tiere schnupperten hungrig in der
Luft und fragten sich, ob ihnen wohl zum Abendessen eine
warme Maische zubereitet werde. Doch es wurde nichts mit der
warmen Maische, und am folgenden Sonntag verkündete man,
daß von nun an alle Gerste den Schweinen vorbehalten bliebe.
Auf dem Feld hinter dem Obstgarten war bereits Gerste gesät
worden. Und schon bald sickerte die Neuigkeit durch, daß jetzt
jedes Schwein täglich eine Ration von einem halben Liter Bier
bekam, und Napoleon höchstselbst vier Liter, die ihm immer in
der Suppenterrine des Meißner-Porzellan-Services gereicht
wurden.
Doch wenn es auch Ungemach zu erdulden gab, so wurde dies
teilweise durch die Tatsache aufgewogen, daß das Leben
heutzutage mehr Würde besaß als früher. Es gab mehr Lieder,
mehr Reden, mehr Aufmärsche. Napoleon hatte befohlen, daß
einmal in der Woche eine sogenannte ›Spontan-Demonstration‹
stattfinden sollte, deren Zweck es war, die Kämpfe und
Triumphe der Farm der Tiere zu feiern. Zur festgesetzten Zeit
verließen die Tiere dann ihre Arbeit und marschierten in
militärischer Formation die Grenzen der Farm ab, voraus die
Schweine, dann die Pferde, dann die Kühe, dann die Schafe und
schließlich das Federvieh. Die Hunde flankierten den
Aufmarsch, und ganz vorneweg stolzierte Napoleons schwarzer
Junghahn. Boxer und Kleeblatt trugen gemeinsam immer ein
grünes Banner mit dem Huf und dem Horn und der Aufschrift
›Lang lebe Genosse Napoleon!‹. Anschließend wurden zu
Napoleons Ehren verfaßte Gedichte rezitiert, und Schwatzwutz
hielt eine Rede, in der er Einzelheiten über die jüngsten
Steigerungen in der Futterproduktion bekanntgab, und
gelegentlich wurde ein Schuß aus dem Gewehr abgefeuert. Die
Schafe waren die begeistertsten Anhänger der ›Spontan-
Demonstrationen‹, und wenn sich irgendjemand beschwerte
(was einige Tiere manchmal taten, wenn gerade keine Schweine
oder Hunde in der Nähe waren), daß sie reine
Zeitverschwendung wären und nur langes Herumstehen im
Kalten bedeuteten, brachten ihn die Schafe todsicher mit einem
ohrenbetäubenden Geblöke «Vierbeiner gut, Zweibeiner
schlecht!« zum Schweigen. Doch im großen und ganzen
genossen die Tiere diese Feierlichkeiten. Sie fanden es tröstlich,
daran erinnert zu werden, daß sie immerhin und wahrlich und
wahrhaftig ihre eigenen Herren waren und daß die Arbeit, die
sie leisteten, nur ihnen allein zugute kam. Und so gelang es
ihnen, über den Liedern, den Aufmärschen, Schwatzwutz'
Zahlenkolonnen, dem Donnern des Gewehrs, dem Krähen des
Junghahns und dem Flattern der Flagge wenigstens hin und
wieder zu vergessen, daß ihre Bäuche leer waren.
Im April wurde die Farm der Tiere zur Republik ausgerufen,
und es stand an, einen Präsidenten zu wählen. Es gab nur einen
Kandidaten, Napoleon, der dann auch einstimmig gewählt
wurde. Am selben Tag noch wurde bekanntgegeben, daß sich
neue Dokumente gefunden hätten, die weitere Einzelheiten über
Schneeballs Komplizenschaft mit Jones enthüllten. Es erwies
sich jetzt, daß Schneeball nicht bloß, wie die Tiere früher
angenommen hatten, versucht hatte, die Schlacht am Kuhstall
durch eine Kriegslist zu verlieren, sondern, daß er ganz offen an
Jones' Seite gekämpft hatte. Tatsächlich war er der eigentliche
Anführer der menschlichen Streitkräfte gewesen und hatte sich
mit den Worten »Lang lebe die Menschheit!« in die Schlacht
gestürzt. Die Wunden auf Schneeballs Rücken, die ein paar
Tiere sich noch erinnerten gesehen zu haben, stammten von
Napoleons Zähnen.
Mitten im Sommer tauchte nach mehreren Jahren der
Abwesenheit plötzlich Moses, der Rabe, wieder auf der Farm
auf. Er war ganz der alte, arbeitete noch immer nicht und sprach
wie eh und je vom Kandiszucker-Berg.
Er pflegte sich auf einen Stubben zu hocken, mit den
schwarzen Flügeln zu flappen und stundenweise jedem etwas
vorzuerzählen, der es nur hören mochte. »Dort oben,
Genossen«, pflegte er feierlich zu sagen, indem er mit seinem
langen Schnabel in den Himmel wies - »dort oben, gerade auf
der anderen Seite dieser dunklen Wolke, die ihr da seht - dort
liegt Kandiszucker-Berg, das glückliche Land, wo wir armen
Tiere auf ewig von unseren Mühen ausruhen sollen!« Er
behauptete sogar, auf einem seiner Höhenflüge dort gewesen zu
sein und die immerwährenden Kleefelder und den auf den
Hecken wachsenden Ölkuchen und Würfelzucker gesehen zu
haben. Viele unter den Tieren glaubten ihm. Ihr Leben, sannen
sie so, bestünde jetzt bloß aus Hunger und Mühsal; wäre es da
nicht nur recht und billig, daß irgendwo anders eine bessere
Welt existiere? Schwer einzuschätzen allerdings war die
Einstellung der Schweine Moses gegenüber. Sie erklärten alle
abschätzig, seine Geschichten über Kandiszucker-Berg seien
Lügen und erlaubten ihm trotzdem, auf der Farm zu bleiben,
ohne zu arbeiten und mit einer täglichen Zuteilung von einem
achtel Liter Bier.
Nachdem sein Huf verheilt war, arbeitete Boxer härter als je
zuvor. Freilich arbeiteten in diesem Jahr alle Tiere wie Sklaven.
Außer der regulären Farmarbeit und dem Wiederaufbau der
Windmühle war da noch das Schulhaus für die jungen
Schweine, mit dessen Bau im März begonnen wurde. Manchmal
waren die langen Stunden bei schmaler Kost schwer zu ertragen,
doch Boxer wankte nie. Nichts von dem, was er sagte oder tat,
deutete darauf hin, daß es um seine Kräfte nicht mehr so bestellt
war wie früher. Nur sein Aussehen hatte sich ein wenig
verändert; sein Fell glänzte nicht mehr wie sonst, und seine
mächtigen Hanken schienen geschrumpft zu sein. Die anderen
sagten: »Boxer wird schon zunehmen, wenn das Frühlingsgras
sprießt«, doch der Frühling kam, und Boxer wurde nicht dicker.
Wenn er auf dem Abhang, der zur Spitze des Steinbruchs führte,
seine Muskeln gegen das Gewicht eines gewaltigen
Felsbrockens stemmte, schien es manchmal, als halte ihn nur
noch der bloße Wille zum Weitermachen auf den Beinen. In
solchen Augenblicken sah man seine Lippen die Worte formen:
»Ich will und werde noch härter arbeiten«; die Stimme aber
versagte ihm. Erneut redeten ihm Kleeblatt und Benjamin ins
Gewissen, er solle auf seine Gesundheit achtgeben, aber Boxer
hörte nicht hin. Sein zwölfter Geburtstag rückte näher. Es
kümmerte ihn nicht, was passierte, solange nur ein tüchtiger
Steinvorrat angesammelt war, bevor er in den Ruhestand trat.
Eines späten Abends im Sommer lief plötzlich das Gerücht
durch die Farm, daß Boxer etwas zugestoßen sei. Er war alleine
hinausgegangen, um noch eine Ladung Steine zur Windmühle
zu karren. Und das Gerücht stimmte. Wenige Minuten später
kamen zwei Tauben mit der Nachricht angerauscht: »Boxer ist
zusammengebrochen! Er liegt auf der Seite und kommt nicht
wieder hoch!«
Etwa die Hälfte der Tiere auf der Farm stürmten zur
Hügelkuppe hinaus, wo die Windmühle stand. Da lag Boxer
zwischen den Deichseln des Karrens, mit ausgestrecktem Hals,
unfähig, auch nur den Kopf zu heben. Seine Augen waren
glasig, seine Flanken schweißüberströmt. Ein dünnes Blutrinnsal
war ihm aus dem Maul gesickert. Kleeblatt sank neben ihm auf
die Knie.
»Boxer!« rief sie, »was fehlt dir?«
»Es ist meine Lunge«, sagte Boxer mit schwacher Stimme.
»Aber das tut nichts. Ich denke, ihr werdet es auch ohne mich
schaffen, die Windmühle zu vollenden. Wir haben einen
tüchtigen Steinvorrat angesammelt. Ich hatte ohnehin nur noch
einen Monat vor mir. Ehrlich gesagt, ich habe mich schon
richtig auf meine Pensionierung gefreut. Und da Benjamin auch
nicht mehr der Jüngste ist, darf er vielleicht zur gleichen Zeit in
den Ruhestand treten und mir Gesellschaft leisten.«
»Wir müssen auf der Stelle Hilfe holen«, sagte Kleeblatt.
»Nun lauf doch schon jemand los, um Schwatzwutz Bescheid zu
gegen.«
Alle anderen Tiere stürmten sofort zum Farmhaus zurück, um
Schwatzwutz die Neuigkeit zu überbringen. Nur Kleeblatt blieb,
und auch Benjamin, der sich neben Boxer legte und ihn mit
seinem langen Schwanz wortlos vor den Fliegen schützte. Nach
rund einer Viertelstunde erschien Schwatzwutz voller Mitgefühl
und Sorge. Er sagte, Genosse Napoleon habe mit dem
allergrößten Bedauern von dem Unfall eines der ergebensten
Arbeiter auf der Farm vernommen und treffe bereits
Vorbereitungen, Boxer zur Behandlung ins Krankenhaus nach
Willingdon zu schicken. Hierbei wurde den Tieren etwas
mulmig. Bis auf Mollie und Schneeball hatte noch kein Tier die
Farm verlassen, und der Gedanke, ihren kranken Genossen in
den Händen von Menschen zu wissen, behagte ihnen nicht.
Schwatzwutz überzeugte sie jedoch mit Leichtigkeit davon, daß
der Tierarzt in Willingdon Boxers Fall weitaus sachgemäßer
behandeln könnte als sie hier auf der Farm. Und etwa eine halbe
Stunde später, als sich Boxer ein wenig erholt hatte, wurde er
mit Mühe auf die Beine gestellt und schaffte es auch, zu seinem
Stall zurückzuhumpeln, wo ihm Kleeblatt und Benjamin ein
gutes Strohlager bereitet hatten.
Die nächsten beiden Tage blieb Boxer in seinem Stall. Die
Schweine hatten ihm eine große Flasche mit rosa Medizin
geschickt, die sie im Arzneischränkchen im Badezimmer
gefunden hatten, und Kleeblatt verabreichte sie Boxer zweimal
täglich nach den Mahlzeiten. Abends lag sie in seinem Stall und
unterhielt sich mit ihm, während Benjamin die Fliegen von ihm
abhielt. Boxer tat so, als sei es ihm um das Geschehene nicht
leid. Wenn er sich gut erhole, könne er noch gut und gerne seine
drei Jahre leben, und auf die friedvollen Tage, die er in der Ecke
der großen Weide verbringen würde, freue er sich schon. Er
würde dann zum erstenmal Muße haben, zu lernen und sich
weiterzubilden. Er beabsichtige, sagte er, den Rest seines
Lebens dem Erlernen der verbleibenden zweiundzwanzig
Buchstaben des Alphabets zu widmen.
Indes, Benjamin und Kleeblatt konnten nur nach der
Arbeitszeit bei Boxer sein, und der Frachtwagen, der ihn
abholen kam, erschien mitten am Tage. Die Tiere waren alle bei
der Arbeit und jäteten unter der Aufsicht eines Schweins gerade
Rüben, als sie voller Erstaunen sahen, wie Benjamin aus der
Richtung der Farmgebäude herangaloppiert kam und aus
Leibeskräften brüllte. Es war das erste Mal, daß sie Benjamin
außer sich sahen - ja, und es war auch das erste Mal, daß ihn
jemand galoppieren sah. »Schnell, schnell!« schrie er. »Kommt
sofort! Sie bringen Boxer weg!« Ohne einen Befehl des
Schweins abzuwarten, ließen die Tiere die Arbeit liegen und
stürmten zu den Farmgebäuden zurück. Tatsächlich, dort im Hof
stand ein großer, geschlossener Wagen mit zwei Zugpferden,
einer Aufschrift an der Seite und einem verschlagen blickenden
Mann mit flachem Bowler, der auf dem Kutschbock saß. Und
Boxers Stall war leer.
Die Tiere scharten sich um den Wagen. »Auf Wiedersehen,
Boxer!« riefen sie im Chor. »Auf Wiedersehen!«
»Ihr Narren ihr!« schrie Benjamin und tänzelte um sie herum
und stampfte mit seinen kleinen Hufen auf die Erde. »Ihr
Narren! Seht ihr denn nicht, was da auf der Seite des Wagens
geschrieben steht?«
Das ließ die Tiere innehalten, und es herrschte Ruhe. Muriel
begann die Worte zu buchstabieren. Aber Benjamin stieß sie zur
Seite und las in die Totenstille hinein vor:
»›Alfred Simmonds, Pferdemetzger und Leimsieder,
Willingdon. Handel mit Häuten und Knochenmehl. Lieferant für
Jagdhundezwinger.‹ Versteht ihr denn nicht, was das heißt? Sie
schaffen Boxer zum Abdecker!«
Ein Entsetzensschrei entfuhr allen Tieren. In diesem
Augenblick gab der Mann auf dem Bock seinen Pferden die
Peitsche, und der Wagen rollte in forschem Trab aus dem Hof.
Alle Tiere liefen hinterher und riefen so laut sie nur konnten.
Kleeblatt drängte sich ganz nach vorne. Der Wagen wurde
immer schneller. Kleeblatt versuchte, ihren stämmigen
Gliedmaßen einen Galopp aufzuzwingen und brachte nur ein
Kantern zuwege. »Boxer!« rief sie. »Boxer! Boxer! Boxer!«
Und als hätte er den Aufruhr draußen gehört, erschien Boxers
Gesicht mit der Blesse auf der Nase an dem kleinen Fenster in
der Hinterwand des Wagens.
»Boxer!« rief Kleeblatt mit schrecklicher Stimme. »Boxer!
Komm raus! Komm schnell raus! Sie fahren dich in den Tod!«
Alle Tiere nahmen den Ruf »Komm raus, Boxer, komm
raus!« auf. Doch der Wagen wurde schon schneller und fuhr
ihnen davon. Es war ungewiß, ob Boxer verstanden hatte, was
Kleeblatt rief. Doch einen Moment später verschwand sein
Gesicht vom Fenster, und im Wageninnern ertönte ein
gewaltiges Hufgetrommel. Er versuchte sich freizukeilen. Es
hatte einmal eine Zeit gegeben, da hätten ein paar Hufschläge
Boxers den Wagen zu Kleinholz zertrümmert. Aber ach! Seine
Kräfte waren geschwunden; und in kurzer Zeit wurde das
Geräusch trommelnder Hufe immer schwächer, bis es
schließlich ganz erstarb. Verzweifelt beschworen die Tiere die
beiden Pferde, die den Wagen zogen, anzuhalten. »Genossen,
Genossen!« schrien sie. »Fahrt nicht euren eigenen Bruder in
den Tod!« Doch die dummen Biester, die zu blöde dazu waren,
das Geschehen zu begreifen, legten bloß die Ohren an und
steigerten ihr Tempo noch. Boxers Gesicht erschien nicht mehr
am Fenster. Zu spät dachte jemand daran, vorauszulaufen und
das Gittertor mit den fünf Querstangen zu schließen, im
nächsten Moment war der Wagen schon hindurchgerollt und
verschwand rasch die Straße hinunter. Boxer sah man niemals
mehr wieder.
Drei Tage später wurde mitgeteilt, er sei im Krankenhaus in
Willingdon gestorben, trotz aller Pflege, die einem Pferd zuteil
werden könne. Schwatzwutz überbrachte den anderen diese
Nachricht. Er habe, sagte er, Boxers letzten Stunden
beigewohnt.
»Es war der zu Herzen gehendste Anblick, den ich je gesehen
habe!« sagte Schwatzwutz, hob seine Schweinshaxe und wischte
sich eine Träne fort. »Ich war bis zuletzt an seinem Bett. Und als
es zu Ende ging und er schon zu schwach zum Sprechen war,
flüsterte er mir ins Ohr, es sei sein einziger Kummer, vor der
Vollendung der Windmühle dahingegangen zu sein. ›Vorwärts,
Genossen!‹ flüsterte er. ›Vorwärts im Namen der Rebellion.
Lang lebe die Farm der Tiere! Lang lebe Genosse Napoleon!
Napoleon hat immer recht.‹ Das waren seine letzten Worte,
Genossen.«
Hier veränderte sich Schwatzwutz' Gebaren plötzlich. Er
verstummte für einen Augenblick, und seine kleinen Augen
verschossen nach allen Seiten argwöhnische Blicke, ehe er
fortfuhr.
Es sei ihm zu Ohren gekommen, sagte er, daß bei Boxers
Abtransport ein ganz albernes und niederträchtiges Gerücht in
Umlauf gesetzt worden wäre. Einigen Tieren sei aufgefallen,
daß auf dem Wagen, der Boxer abholen kam, »Pferdemetzger«
stand, und sie hätten sich doch tatsächlich zu dem Schluß
verleiten lassen, Boxer werde zum Abdecker gebracht. Es sei
schier unglaublich, sagte Schwatzwutz, daß irgendein Tier so
töricht sein könne. Bestimmt, rief er empört, fegte mit seinem
Schwanz durch die Luft und hopste hin und her, bestimmt
kannten sie ihren geliebten Führer, Genosse Napoleon, doch
besser! Aber die Erklärung war wirklich ganz einfach. Der
Wagen hatte früher dem Abdecker gehört, und der Tierarzt hatte
ihn von ihm gekauft und nur noch nicht die Zeit gefunden, den
alten Namen zu übermalen. So war dieser Irrtum entstanden.
Die Tiere waren ungeheuer erleichtert, das zu hören. Und als
Schwatzwutz dann noch fortfuhr, anschauliche Einzelheiten von
Boxers Totenbett zu geben, von der bewundernswerten Pflege,
die er erhalten und von der teuren Medizin, die Napoleon ohne
Rücksicht auf die Kosten bezahlt hatte, da schwanden ihre
letzten Zweifel, und die Trauer, die sie um den Tod ihres
Genossen empfanden, wurde durch den Gedanken gelindert, daß
er wenigstens glücklich gestorben war.
Bei der Versammlung am folgenden Sonntag erschien
Napoleon in eigener Person und hielt eine kurze Rede zu Ehren
Boxers. Es war nicht möglich gewesen, sagte er, die Überreste
ihres betrauerten Genossen zur Bestattung auf die Farm
heimzuholen, doch er hatte angeordnet, daß aus den
Lorbeerbüschen im Farmhausgarten ein großer Kranz geflochten
werden sollte, der dann nach Willingdon geschickt und auf
Boxers Grab gelegt werden würde. Und in einigen Tagen
gedachten die Schweine ein Gedenkbankett zu Boxers Ehren
abzuhalten. Napoleon beendete seine Rede mit dem Hinweis auf
die beiden Lieblingsdevisen Boxers: »Ich will und werde noch
härter arbeiten« und »Genosse Napoleon hat immer recht« -
Devisen, sagte er, die jedes Tier gut täte, sich zu eigen zu
machen.
An dem für das Bankett festgesetzten Tag fuhr der Wagen
eines Kolonialwarenhändlers aus Willingdon herauf und lieferte
beim Farmhaus eine große Holzkiste ab. In dieser Nacht
vernahm man lautes Grölen, dem etwas folgte, was wie ein
heftiger Streit klang, der gegen elf Uhr mit dem gewaltigen
Lärm von berstendem Glas endete. Bis zum Mittag des nächsten
Tages rührte sich im Farmhaus nichts, und es ging die Rede, daß
sich die Schweine von irgendwoher das Geld beschafft hatten,
um sich noch eine Kiste Whisky zu kaufen.
Jahre zogen ins Land. Die Jahreszeiten kamen und gingen, die
kurzen Tierleben verflossen. Es kam eine Zeit, da erinnerte sich
niemand mehr an die alten Tage vor der Rebellion, außer
Kleeblatt, Benjamin, Moses, dem Raben und einer Anzahl von
Schweinen.
Muriel war tot; Glockenblume, Jessie und Zwickzwack waren
tot. Auch Jones lebte nicht mehr - er war in einer
Trinkerheilanstalt in einem anderen Teil des Landes gestorben.
Schneeball war vergessen. Boxer war vergessen, außer von den
wenigen, die ihn gekannt hatten. Kleeblatt war jetzt eine alte,
korpulente Stute mit steifen Gelenken und einer Neigung zu
Triefaugen. Sie war schon zwei Jahre über die Altersgrenze
hinaus, doch tatsächlich in den Ruhestand getreten war noch
kein Tier. Das Thema, eine Ecke der Weide für die ausgedienten
Tiere zu reservieren, war schon lange fallengelassen worden.
Napoleon war jetzt ein ausgewachsener Drei- Zentner-Keiler.
Schwatzwutz war so fett, daß er kaum noch aus den Augen
gucken konnte. Nur der alte Benjamin war noch so ziemlich
derselbe, bloß ein bißchen grauer um die Schnute und seit
Boxers Tod mürrischer und wortkarger denn je.
Es gab jetzt viel mehr Tiere auf der Farm, obwohl der
Zuwachs nicht ganz so groß war, wie man in früheren Jahren
erwartet hatte. Viele Tiere waren geboren worden, denen die
Rebellion nur eine mündlich überlieferte, trübe Tradition
bedeutete, und es waren andere gekauft worden, die vor ihrer
Ankunft noch nie mals etwas davon gehört hatten. Die Farm
besaß jetzt außer Kleeblatt noch drei Pferde. Es waren prächtige,
hochgewachsene Tiere, willige Arbeiter und gute Genossen,
aber strohdumm. Keines von ihnen vermochte das Alphabet
über den Buchstaben B hinaus zu erlernen. Sie akzeptierten
alles, was ihnen über die Rebellion und die Prinzipien des
Animalismus erzählt wurde, besonders wenn es von Kleeblatt
stammte, vor der sie einen fast kindlichen Respekt empfanden;
doch es fragte sich noch, ob sie auch sehr viel davon begriffen.
Die Farm war jetzt wohlhabender und besser organisiert: sie
war um zwei Felder vergrößert worden, die man Mister Pilkington
abgekauft hatte. Die Windmühle war endlich mit Erfolg
fertiggestellt worden, und die Farm verfügte über eine eigene
Dreschmaschine, einen Heuaufzug, und überdies waren ihr auch
noch weitere Gebäude hinzugefügt worden. Whymper hatte sich
einen Dogcart zugelegt. Die Windmühle indes war schließlich
doch nicht zur Stromerzeugung genutzt worden. Sie wurde zum
Kornmahlen benutzt und warf einen netten Profit ab. Die Tiere
arbeiteten hart am Bau einer weiteren Windmühle; nach ihrer
Fertigstellung, so hieß es, würden die Dynamos installiert
werden. Doch von dem Luxus, von dem Schneeball die Tiere
einst zu träumen gelehrt hatte, von den Ställen mit elektrischem
Licht und fließend warm und kalt Wasser und von der Drei-
Tage-Woche war nicht mehr die Rede. Napoleon hatte solche
Ideen als dem Geiste des Animalismus zuwiderlaufend
angeprangert. Das wahre Glück, sagte er, liege in harter Arbeit
und kargem Leben.
Irgendwie hatte es den Anschein, als sei die Farm reicher
geworden, ohne doch die Tiere selbst reicher zu machen -
ausgenommen natürlich die Schweine und Hunde. Das lag
vielleicht zum Teil daran, daß es so viele Schweine und so viele
Hunde gab. Es war nun etwa nicht so, daß diese Tiere nicht
gearbeitet hätten, nur taten sie das eben auf ihre Weise. Es
steckte, wie Schwatzwutz nie müde wurde zu erklären,
unendlich viel Arbeit in der Überwachung und Organisation der
Farm. Und vieles von dieser Arbeit begriffen die anderen Tiere
nicht, weil sie zu dumm dazu waren. So erzählte ihnen
Schwatzwutz zum Beispiel, daß die Schweine täglich ungeheure
Mühen an geheimnisvolle, ›Akten‹, ›Rapporte‹, ›Protokolle‹ und
›Memoranda‹ genannte Dinge wenden mußten. Das waren dann
große Bogen Papier, die eng beschrieben werden mußten und
die, sobald dies geschehen war, im Ofen verbrannt wurden. Dies
war für das Wohlergehen der Farm von höchster Wichtigkeit,
sagte Schwatzwutz. Aber dennoch, weder die Schweine noch
die Hunde produzierten durch ihre eigene Arbeit irgendwelches
Futter; und es waren ihrer sehr viele, und ihr Appetit war immer
ausgezeichnet.
Den übrigen erschien ihr Leben so, wie es schon immer
gewesen war. Sie waren für gewöhnlich hungrig, sie schliefen
auf Stroh, sie tranken aus dem Teich, sie rackerten sich auf den
Feldern ab; winters wurden sie von der Kälte geplagt und
sommers von den Fliegen. Manchmal zermarterten sich die
älteren unter ihnen die getrübte Erinnerung und versuchten
herauszufinden, ob die Dinge in den ersten Tagen der Rebellion,
kurz nach Jones' Vertreibung, besser oder schlechter gestanden
hätten als jetzt. Sie konnten sich nicht erinnern. Es gab nichts,
womit sie ihr augenblickliches Leben vergleichen konnten: 
sie hatten keine Anhaltspunkte außer Schwatzwutz' Zahlenkolonnen, die unwandelbar dartaten, daß alles immer
besser und besser wurde. Die Tiere standen vor einem
unlösbaren Problem; sie hatten jetzt ohnehin wenig Zeit, um
über solche Dinge nachzudenken. Nur der alte Benjamin
behauptete, sich an jede Einzelheit seines langen Lebens zu
erinnern und zu wissen, daß die Dinge weder jemals viel besser
oder schlechter gewesen wären noch jemals viel besser oder
schlechter werden könnten -Hunger, Mühsal und Enttäuschung
seien nun einmal, so sagte er, das unabänderliche Gesetz des
Lebens.
Und trotzdem gaben die Tiere die Hoffnung nie auf. Mehr
noch, sie verloren nie, nicht einmal für einen Augenblick, ihr
Gefühl, daß es eine Ehre und ein Privileg war, der Farm der
Tiere anzugehören. Sie waren noch immer die einzige Farm in
der gesamten Grafschaft - in ganz England! - , die Tieren
gehörte und von ihnen geleitet wurde. Nicht eines unter ihnen,
nicht einmal das Jüngste, nicht einmal die Neulinge, die man
von zehn oder zwanzig Meilen entfernten Farmen gekauft
hatten, hörten je auf, darüber zu staunen. Und wenn sie das
Gewehr krachen hörten und die grüne Flagge an der Spitze des
Fahnenmastes flattern sahen, schwollen ihre Herzen vor
unvergänglichem Stolz, und das Gespräch neigte sich stets den
alten Tagen zu, der Vertreibung von Jones, dem Aufschreiben
der Sieben Gebote, den großen Schlachten, in denen die
menschlichen Eindringlinge geschlagen worden waren. Keiner
der alten Träume war aufgegeben worden. Man glaubte noch
immer an die Republik der Tiere, die Major vorausgesagt hatte,
an die Zeit, wo keines Menschen Fuß Englands grüne Fluren
mehr betreten werde. Eines Tages würde sie kommen:
womöglich nicht so bald, womöglich nicht zu Lebzeiten
irgendeines jetzt lebenden Tieres, aber kommen würde sie.
Sogar die Melodie von ›Tiere Englands‹ wurde vielleicht
insgeheim hier und dort gesummt: Tatsache war jedenfalls, daß
sie jedes Tier auf der Farm kannte, obwohl es nicht eines gewagt
haben würde, sie laut zu singen. Es mochte sein, daß ihr Leben
hart war und daß sich nicht alle ihre Hoffnungen erfüllt hatten;
aber sie waren sich dessen bewußt, daß sie nicht so wie andere
Tiere waren.
Wenn sie darbten, dann nicht deswegen, weil sie tyrannische
Menschen ernähren mußten; wenn sie hart arbeiteten, dann
arbeiteten sie wenigstens für sich selber. Kein Geschöpf unter
ihnen ging auf zwei Beinen. Kein Geschöpf nannte ein anderes
seinen ›Herren‹. Alle Tiere waren gleich.
Eines Tages im Frühsommer befahl Schwatzwutz den
Schafen, ihm zu folgen, und er führte sie hinaus auf ein Stück
Brachland am anderen Ende der Farm, das von jungen Birken
überwachsen stand. Die Schafe verbrachten den ganzen Tag dort
und weideten sich unter Schwatzwutz' Aufsicht an den Blättern.
Er selbst kehrte am Abend zum Farmhaus zurück, den Schafen
jedoch riet er, angesichts des warmen Wetters, dort zu bleiben,
wo sie waren. Es endete damit, daß sie eine volle Woche dort
blieben, während der die anderen Tiere sie nicht zu Gesicht
bekamen. Schwatzwutz war die meiste Zeit bei ihnen. Er lehre
sie, so sagte er, ein neues Lied zu singen, wozu es der
Ungestörtheit bedürfe.
Es war just nach der Rückkehr der Schafe, an einem lauen
Abend, als die Tiere ihre Arbeit beendet hatten und sich auf dem
Rückweg zur Farm befanden, da ertönte vom Hof das entsetzte
Wiehern eines Pferdes. Verblüfft blieben die Tiere stehen. Es
war Kleeblatts Stimme. Abermals wieherte sie, und alle Tiere
galoppierten los und stürmten in den Hof. Dann sahen sie, was
Kleeblatt gesehen hatte.
Es war ein Schwein, das auf den Hinterbeinen lief.
Ja, es war Schwatzwutz. Ein wenig unbeholfen, als wäre es
ihm noch ungewohnt, seinen ansehnlichen Wanst in dieser
Position aufrechtzuhalten, doch mit perfekter Balance, so
schlenderte er über den Hof. Und einen Augenblick später kam
aus der Tür des Farmhauses eine lange Reihe von Schweinen,
die allesamt auf den Hinterbeinen liefen. Einige machten es
besser als andere, ein paar schwankten sogar ein Spürchen und
sahen so aus, als hätten sie sich gerne auf einen Stock gestützt,
doch jedes von ihnen schaffte es, einmal erfolgreich den Hof zu
umrunden. Und schließlich erscholl ungeheures Hundegebell
und ein schrilles Krähen des schwarzen Junghahns, und heraus
trat Napoleon persönlich, in majestätisch aufrechter Haltung,
und verschoß nach allen Seiten hochmütige Blicke, und seine
Hunde umsprangen ihn.
In seiner Schweinshaxe hielt er eine Peitsche.
Es herrschte tödliches Schweigen. Verblüfft, entsetzt, dicht
aneinander gedrängt beobachteten die Tiere, wie die lange
Schweinereihe langsam um den Hof herummarschierte. Es war
so, als wäre die Welt auf den Kopf gestellt. Dann kam ein
Augenblick, als der erste Schock abgeklungen war und in dem
sie trotz allem - trotz ihres Entsetzens vor den Hunden und trotz
der in langen Jahren erworbenen Gewohnheit, sich nie zu
beschweren, nie zu kritisieren, egal was geschah - vielleicht ein
Wort des Protestes geäußert hätten. Doch gerade in diesem
Augenblick brachen alle Schafe wie auf ein Signal hin in das
ungeheure Geblöke aus - »Vierbeiner gut, Zweibeiner besser!
Vierbeiner gut, Zweibeiner besser! Vierbeiner gut, Zweibeiner
besser!«
Und so ging es fünf Minuten lang pausenlos weiter. Und als
die Schafe sich beruhigt hatten, war die Chance zum Protest
verpaßt, denn die Schweine waren zurück ins Farmhaus
marschiert.
Benjamin fühlte, wie ihn eine Nase an der Schulter stupste. Er
sah sich um. Es war Kleeblatt. Ihre alten Augen blickten trüber
denn je. Wortlos zupfte sie ihn sanft an der Mähne und führte
ihn zum Ende der großen Scheune, wo die Sieben Gebote
angeschrieben standen. Sie verharrten dort eine oder zwei
Minuten lang und schauten auf die geteerte Wand mit den
weißen Buchstaben.
»Mein Augenlicht läßt nach«, sagte sie schließlich. »Selbst als
ich noch jung war, habe ich nicht lesen können, was da
geschrieben stand. Aber mir scheint, daß diese Wand irgendwie
anders aussieht. Sind die Sieben Gebote noch dieselben wie
einst, Benjamin?«
Dies eine Mal fand sich Benjamin dazu bereit, mit seiner
Regel zu brechen, und er las ihr vor, was auf der Wand
geschrieben stand. Jetzt war da bloß noch ein einziges Gebot. Es
lautete:
alle tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.
Danach erschien es nicht weiter befremdlich, als am nächsten
Tag die Schweine, die die Farmarbeit beaufsichtigten, Peitschen
in den Haxen trugen. Es erschien auch nicht weiter befremdlich
zu erfahren, daß sich die Schweine einen Rundfunkempfänger
gekauft hatten, Schritte zum Anschluß eines Telefons
unternahmen und auf die Zeitschriften John Bull, Tit-Bits und
den Daily Mirror abonniert waren. Es erschien nicht weiter
befremdlich, als man Napoleon mit einer Pfeife im Maul im
Farmhausgarten schlendern sah - nein, nicht einmal, als die
Schweine MisterJones Garderobe aus dem Kleiderschrank holten
und sie anlegten; Napoleon präsentierte sich in einer schwarzen
Joppe, gelbbraunen Breeches und Ledergamaschen, wohingegen
sich seine Lieblingssau in einem moirierten Seidenkleid sehen
ließ, das Missus Jones an Sonntagen zu tragen gepflegt hatte.
Eine Woche später fuhren nachmittags eine Anzahl Dogcarts
zur Farm hinauf. Man hatte eine Abordnung benachbarter
Farmer zu einem Inspektionsbesuch eingeladen. Man führte sie
überall auf der Farm herum, und sie drückten für alles, was sie
sahen, große Bewunderung aus, besonders aber für die
Windmühle. Die Tiere jäteten im Rübenfeld. Sie arbeiteten
emsig, hoben kaum den Blick vom Boden und wußten nicht, ob
sie sich mehr vor den Schweinen oder mehr vor den
menschlichen Besuchern fürchten sollten.
An diesem Abend kam vom Farmhaus lautes Gelächter und
Gegröle. Und beim Klang des Stimmengewirrs wurden die Tiere
plötzlich von der Neugier gepackt. Was mochte da drinnen wohl
vorgehen, jetzt, wo sich Tiere und Menschen zum ersten Mal
auf gleicher Stufe begegneten? Einmütig schlichen sie sich so
leise wie möglich in den Farmhausgarten.
Am Tor zögerten sie und fürchteten sich beinahe
weiterzulaufen, doch Kleeblatt ging ihnen in den Garten voraus.
Sie zehenspitzten zum Haus, und diejenigen Tiere, die groß
genug waren, lugten zum Eßzimmerfenster hinein. Dort saßen
um den langen Tisch ein halbes Dutzend Farmer und ein halbes
Dutzend der wichtigsten Schweine, und Napoleon selbst hatte
den Ehrenplatz am Kopfende der Tafel inne. Die Schweine
schienen sich auf ihren Stühlen absolut wohlzufühlen. Die
Gesellschaft hatte sich beim Kartenspiel vergnügt, dieses jedoch
just für einen Moment unterbrochen, um offenkundig einen
Toast anzubringen. Eine große Kanne kreiste, und die Krüge
wurden mit Bier nachgefüllt. Keiner bemerkte die verwunderten
Gesichter der Tiere, die zum Fenster hineinschauten.
Mister Pilkington von Fuchswald hatte sich eben mit dem Krug
in der Hand erhoben. Gleich, so sagte er, werde er die
Anwesenden bitten, auf einen Toast zu trinken. Doch zuvor, so
fühle er, obliege ihm noch die Pflicht, einige Worte zu sagen.
Es bedeutete ihm - und wie er zuversichtlich glaube, auch
allen übrigen Anwesenden - eine Quelle großer Befriedigung,
sagte er, daß nunmehr eine lange Periode des Mißtrauens und
Mißverständnisses ihr Ende gefunden habe. Es habe eine Zeit
gegeben - nicht, daß etwa er oder einer der Anwesenden diese
Befürchtungen geteilt hätten - nein, aber es habe eine Zeit
gegeben, wo die geehrten Besitzer der Farm der Tiere von ihren
menschlichen Nachbarn, er wolle nicht eben sagen mit
Feindseligkeit, aber doch vielleicht mit einem gewissen Grad an
Zweifel betrachtet worden seien. Es sei zu bedauerlichen
Mißverständissen gekommen, verkannte Ideen hätten kursiert.
Die Existenz einer von Schweinen besessenen und geführten
Farm sei als irgendwie abnormal empfunden worden und dazu
angetan, Unruhe in der Nachbarschaft zu stiften. Zu viele
Farmer hätten ohne die gebotene Prüfung der Verhältnisse
vermutet, auf einer solchen Farm müsse eine zügellose und
undisziplinierte Gesinnung herrschen. Sie hätten sich um die
möglichen Auswirkungen auf ihre eigenen Tiere, ja, gar auf ihre
menschlichen Angestellten gesorgt. Doch alle diese Bedenken
seien jetzt zerstreut. Heute hatten er und seine Freunde die Farm
der Tiere besucht und jeden Zoll davon mit eigenen Augen
inspiziert, und was hatte man gefunden? Nicht nur die
allermodernsten Methoden, sondern auch eine Zucht und
Ordnung, an der sich alle Farmer allerorts ein Beispiel nehmen
sollten. Er glaube mit Fug und Recht sagen zu dürfen, daß die
niederen Tiere auf der Farm der Tiere mehr arbeiteten und
weniger Futter bekamen als irgendwelche sonst in der
Grafschaft. Ihm und seinen Mitbesuchern waren heute
wahrhaftig viele Dinge aufgegangen, die sie gedächten, sofort
auf ihren eigenen Farmen einzuführen.
Zum Schluß seiner Ausführungen, sagte er, wollte er noch
einmal die freundschaftlichen Gefühle betonen, die zwischen
der Farm der Tiere und ihren Nachbarn beständen und auch
weiterbestehen sollten. Zwischen Schweinen und Menschen
gebe es keinen, wie auch immer gearteten, Interessenkonflikt,
und es müsse ihn auch nicht geben. Ihre Kämpfe und
Schwierigkeiten seien die nämlichen. Herrsche denn nicht
überall dieselbe Arbeitsproblematik? Hier wurde ersichtlich, daß
Mister Pilkington einen sorgfältig vorbereiteten Witz vom Stapel
lassen wollte, doch für einen Augenblick war er selbst zu
amüsiert, um ihn von sich zu geben. Nach vielem Prusten,
währenddem sich seine diversen Kinne lila färbten, schaffte er
es, ihn herauszubringen: »Sie müssen sich mit Ihren unteren
Tieren herumstreiten«, sagte er, »und wir mit unseren unteren
Klassen!« Dieses bonmot versetzte die Gesellschaft in
schallendes Gelächter; und Mister Pilkington beglückwünschte die
Schweine zu den knappen Rationen, den langen Arbeitsstunden
sowie zu der generellen Unverzärteltheit, die er auf der Farm der
Tiere beobachtet habe.
Und nun, sagte er schließlich, bitte er die Anwesenden sich zu
erheben und für gefüllte Krüge Sorge zu tragen. »Gentlemen«,
schloß Mister Pilkington, »Gentlemen, ich bringe einen Toast aus:
Auf das Gedeihen der Farm der Tiere!«
Es gab begeisterte Hochrufe und Fußgetrampel. Napoleon war
so erfreut, daß er seinen Platz verließ und um den Tisch
herumkam, um mit Mister Pilkington anzustoßen, ehe er seinen
Krug leerte.
Als die Hochrufe verklungen waren, deutete Napoleon, der
nicht wieder Platz genommen hatte, an, daß auch er ein paar
Worte zu sagen habe.
Wie alle Reden Napoleons, so war auch diese kurz und
bündig. Auch er, sagte er, schätze sich glücklich, daß die
Periode der Mißverständnisse zu Ende sei. Lange Zeit hätten
Gerüchte kursiert - in Umlauf gebracht, wie er begründet glaube,
von einem übelwollenden Feind - nach denen seiner Einstellung
und der seiner Kollegen etwas Subversives, ja, sogar
Revolutionäres anhaften sollte. Man habe sie des Versuchs
bezichtigt, unter den Tieren der Nachbarfarmen die Rebellion zu
schüren. Nichts könne weiter von der Wahrheit entfernt liegen!
Ihr einziger Wunsch, jetzt und ehedem, sei es, in Frieden und
normalen Geschäftsbeziehungen mit ihren Nachbarn zu leben.
Diese Farm, die er zu kontrollieren die Ehre habe, fügte er
hinzu, sei ein Genossenschaftsunternehmen.
Die Eigentumsurkunden, die er in seinem Besitz halte, gehörten
allen Schweinen gemeinschaftlich.
Er glaube zwar nicht, sagte er, daß es noch Reste des alten
Argwohns gebe, doch habe die Farmroutine in jüngster Zeit
bestimmte Veränderungen erfahren, die eigentlich noch weiter
vertrauensbildend wirken sollten. Bislang hätten die Tiere auf
der Farm die ziemlich alberne Sitte gehabt, einander mit
»Genosse« anzureden. Dies sollte abgeschafft werden.
Weiterhin hätte es auch den seltsamen Brauch unbekannten
Ursprungs gegeben, an jedem Sonntagmorgen an einem
Keilerschädel vorbeizumarschieren, der im Garten an einen
Pfosten genagelt war. Auch dies werde abgeschafft, und der
Schädel sei bereits vergraben worden. Auch sei seinen
Besuchern vielleicht die grüne Flagge aufgefallen, die von der
Fahnenstange wehe. Wenn ja, so hätten sie vielleicht bemerkt,
daß der weiße Huf und das weiße Horn, die früher darauf zu
sehen gewesen waren, jetzt entfernt worden seien. Von nun an
würde es eine schlichtgrüne Flagge sein.
Nur in einem Punkt müsse er, wie er sagte, Mister Pilkingtons
ausgezeichnete und nachbarschaftliche Rede kritisieren. Mister
Pilkington habe durchweg von der Farm der Tiere gesprochen.
Er könne nun natürlich nicht wissen - denn er, Napoleon,
verkünde es jetzt zum erstenmal - daß der Name ›Farm der
Tiere‹ abgeschafft worden sei. Fürderhin werde die Farm als die
›Herren-Farm‹ bekannt sein - was, wie er glaube, ihr korrekter
und ursprünglicher Name sei.
»Gentlemen«, schloß Napoleon, »ich möchte den
voraufgegangenen Toast wiederholen, nur in abgewandelter
Form. Füllen Sie Ihre Krüge bis zum Rand. Gentlemen, hier ist
mein Toast: Auf das Gedeihen der Herren-Farm!«
Es gab dieselben kräftigen Hochrufe wie zuvor, und die
Krüge wurden bis zur Neige geleert. Doch als die Tiere draußen
dem Ereignis zusahen, schien es ihnen, als geschähe etwas
Sonderbares. Was hatte sich bloß in den Gesichtern der
Schweine verändert? Kleeblatts alte, trübe Augen huschten von
einem Gesicht zum anderen. Manche von ihnen hatten fünf
Kinne, manche vier und manche drei. Aber was war es denn
bloß, das sich zu verschmelzen und verändern schien? Als der
Beifall verklungen war, griff die Gesellschaft wieder zu den
Karten und setzte das unterbrochene Spiel fort, und die Tiere
schlichen stumm davon.
Doch sie waren noch keine zwanzig Schritt weit gegangen, da
blieben sie wie angewurzelt stehen. Aus dem Farmhaus drang
lautes Stimmengebrüll. Sie eilten zurück und sahen wieder
durch das Fenster. Ja, es war ein heftiger Streit im Gange. Es
gab Geschrei, Fäuste krachten auf den Tisch, scharfe
Mißtrauensblicke flogen, wütende Leugnungen ertönten. Die
Ursache des Ärgers lag sichtlich darin, daß Napoleon und Mister
Pilkington beide gleichzeitig ein Pik-As ausgespielt hatten.
Zwölf Stimmen schrien zornig, und alle klangen sie gleich.
Und jetzt stand außer Frage, was mit den Gesichtern der
Schweine passiert war. Die Tiere draußen blickten von Schwein
zu Mensch und von Mensch zu Schwein, und dann wieder von
Schwein zu Mensch; doch es war bereits unmöglich zu sagen,
wer was war.